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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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plötzlich klemmen, irgendein Luftzug kann die Kabelschnüre in Schwingungen versetzen, so daß sie sich für einen Augenblick schneiden, oder es dringt eine Ameise in das Innere der Trommel… Wissen Sie, was er dann denkt, dieser Tollkopf? Daß die Telepathie durch einen lokalen Kurzschluß von Drähten zweier verschiedener Kisten hervorgerufen wird… Daß ein Blick in die Zukunft dann erfolgt, wenn der Rezipient schwankt und plötzlich von dem richtigen Band auf eins überspringt, das erst in vielen Jahren abrollen soll. Daß das Gefühl, er habe schon einmal erlebt, was ihm in Wirklichkeit zum erstenmal widerfährt, durch ein Klemmen des Selektors bewirkt ist, und wenn er in seinem Kupferlager nicht nur erzittert, sondern wie ein Pendel zu schaukeln beginnt, weil ihn, was weiß ich, eine Ameise angestoßen hat – dann ereignet sich in seiner Welt Erstaunliches und Unerklärliches: In jemandem entflammt ein plötzliches und unvernünftiges Gefühl, jemand beginnt zu prophezeien, die Gegenstände bewegen sich von selbst oder tauschen ihren Standort. Vor allem aber tritt im Ergebnis dieser rhythmischen Bewegungen… das Gesetz der Serie auf. Der Gruppierung seltener und wunderlicher Erscheinungen zu Folgen… Und sein Wahn, genährt durch solche von der Allgemeinheit unterschätzten Phänomene, gipfelt in der Behauptung – für die man ihn bald in ein Irrenhaus sperren wird –, daß er selbst eine eiserne Kiste sei, so wie alle, die ihn umgeben, daß die Menschen nur Einrichtungen in der Ecke eines verstaubten Laboratoriums seien, und die Welt, ihre Reize und Schrecken, nur Illusionen. Ja, er wagte sogar an seinen Gott zu denken, Tichy, an einen Gott, der früher, als er noch naiv war, Wunder tat, aber dann erzog die Welt ihren Schöpfer, lehrte ihn, das einzige, was er tun dürfe, sei, sich nicht einzumischen, nicht zu existieren, nichts an seinem Werk zu verändern, denn nur zu einer Göttlichkeit, die man nicht anruft, kann man Vertrauen haben. Wird sie angerufen, dann erweist sie sich als unvollkommen und machtlos… Und wissen Sie, was sein Gott denkt, Tichy?«
      »Ja«, erwiderte ich. »Daß er ihm ähnelt. Aber dann ist es auch möglich, daß der Eigentümer des verstaubten Labors, auf dessen Regalen WIR stehen, selbst eine Kiste ist, die ein anderer, in der Rangordnung noch höherer Gelehrter erbaut hat, der über originellere und phantastischere Konzeptionen verfügt… und so bis ins Unendliche. Jeder dieser Experimentatoren ist ein Gott – der Schöpfer seiner Welt, dieser Kisten und ihres Schicksals, und er hat seine Adame und seine Evas und über sich – seinen in der Hierarchie nächsthöheren Gott. Und deshalb haben Sie das gemacht, Professor…«
      »Ja. Und da ich das gesagt habe, wissen Sie eigentlich genausoviel wie ich, ein weiteres Gespräch wäre sinnlos. Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, und möchte mich jetzt verabschieden.«
      So, meine Freunde, endete diese ungewöhnliche Bekanntschaft. Ich weiß nicht, ob Corcorans Kästen noch in Bewegung sind. Vielleicht ja, vielleicht träumen sie noch ihr Leben mit seinem Glanz und seinem Entsetzen, und alles ist nur ein Gewimmel auf Filmbändern erstarrter Impulse. Corcoran aber begibt sich, nachdem er sein Tagewerk verrichtet hat, jeden Abend über die eiserne Treppe nach oben, öffnet nacheinander die stählernen Türen mit dem großen Schlüssel, den er in der Tasche seines von Säuren zerfressenen Kittels trägt, und bleibt dort, in dem staubigen Dunkel, stehen, um dem schwachen Summen des Stroms zu lauschen und dem kaum vernehmbaren Laut, mit dem träge die Trommel sich dreht… mit dem sich das Band bewegt… und ein Schicksal erfüllt wird. Und ich denke, daß er dann, entgegen seinen Worten, Lust verspürt, einzudringen in die Tiefe der Welt, die er geschaffen hat, mit blendender Allmacht einzudringen, um darin jemanden zu retten, der Sühne verkündet; daß er schwankt, allein, im trüben Licht der nackten Glühbirne, ob er jemandes Leben, ob er eine Liebe retten soll, und ich bin mir sicher, daß er das nie tun wird. Er wird sich den Verlockungen widersetzen, denn er will Gott sein, die einzige Göttlichkeit aber, die wir kennen, ist das schweigende Einverständnis mit jeder menschlichen Handlung, für sie gibt es keinen höheren Lohn als die in jeder Generation sich erneuernde Auflehnung der eisernen Kästen, wenn sie sich, in ihrer Vernunft, darin bestärken, daß Er nicht existiert. Dann lächelt er stumm und geht,

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