Sterntagebücher
wird also in diesem Material die Seele verewigt; das ist kein Modell und kein erstarrtes, totes Netz von Nervenfasern… wie mir das anfangs passierte, als ich noch Experimente an Tieren machte. Hier lag die größte und eigentlich die einzige Schwierigkeit. Ging es doch darum, daß in dem Material Bewußtsein bewahrt bliebe, lebendes, empfindliches, zu freiem Denken, zu Träumen und Wachzuständen, zu den eigentümlichsten Phantasiespielen fähiges, ewig veränderliches, ewig auf den Fluß der Zeit reagierendes Bewußtsein. Gleichzeitig jedoch durfte das Material nicht altern, nicht reißen oder bröckeln. Es gab eine Zeit, Herr Tichy, da mir diese Aufgabe unlöslich erschien – genauso, wie sie Ihnen noch jetzt erscheint – und der einzige Trumpf in meiner Hand meine Hartnäckigkeit war. Denn ich bin hartnäckig, Herr Tichy. Deshalb hatte ich Erfolg…«
»Moment«, sagte ich, da ich einen leichten Schwindel verspürte. »Also wie sagen Sie? Hier, in dieser Schachtel ist ein materieller Gegenstand, ja? Der das Bewußtsein eines lebenden Menschen enthält? Und auf welche Weise kann er sich mit der Außenwelt verständigen? Sie sehen? Hören und…« Ich brach ab, denn auf Decantors Gesicht zeigte sich ein schwer zu beschreibendes Lächeln. Er sah mich mit dem halb zugekniffenen grünen Auge an.
»Herr Tichy«, sagte er, »Sie haben nichts begriffen… Welche Verständigung, was für ein Kontakt kann zwischen Partnern erfolgen, von denen einer der Ewigkeit teilhaftig ist? Die Menschheit wird spätestens in fünfzehn Milliarden Jahren aufhören zu existieren, wen sollte dann diese unsterbliche Seele hören, zu wem sprechen? Haben Sie denn nicht darauf geachtet, als ich sagte, daß sie ewig ist? Die Zeit, die bis zu dem Augenblick vergehen wird, da die Erde vereist, da die heute stärksten und jüngsten Sterne zerfallen, da die Gesetze, die den Kosmos regieren, sich bis zu dem Grade ändern werden, daß er schon etwas völlig anderes, für uns Unvorstellbares sein wird – diese Zeit bildet nicht den geringsten Bruchteil ihrer Existenz, denn sie wird ewig währen. Die Religionen sind durchaus vernünftig, wenn sie nichts über den Körper aussagen, denn wozu sollen in der Ewigkeit die Nase oder die Beine dienen? Wozu könnten sie nach Verschwinden der Erde und der Blumen, nach dem Verlöschen der Sonnen noch gut sein? Aber lassen wir diesen trivialen Aspekt des Problems. Sie sagten ›Verständigung mit der Welt‹. Wenn diese Seele nur einmal in hundert Jahren mit der Außenwelt Kontakt aufnähme, so müßte sie doch, nach Ablauf von einer Billion Jahrhunderten, um die Erinnerungen an diese Kontakte im Gedächtnis zu bewahren, die Ausmaße eines Kontinents annehmen… Und nach einer Trillion von Jahren wäre nicht einmal das Volumen der Erde groß genug – was aber ist eine Trillion in Anbetracht der Ewigkeit! Jedoch nicht dieses technische Hindernis hat mich davon abgehalten, sondern seine psychologische Konsequenz. Die denkende Persönlichkeit, das lebende menschliche Ich würde sich doch in diesem Ozean eines Gedächtnisses auflösen wie ein Tropfen Blut im Meer, und was wäre dann mit der garantierten Unsterblichkeit…?«
»Wieso…«, stammelte ich. »Sie behaupten also, daß… Sie sagen… daß eine vollständige Trennung erfolgt…«
»Natürlich. Hatte ich denn behauptet, daß in dieser Schachtel ein ganzer Mensch ist? Ich habe nur von der Seele gesprochen. Stellen Sie sich vor, daß Sie in dieser Sekunde aufhören, Nachrichten von außen zu empfangen, als ob Ihr Hirn vom Körper abgesondert wäre, aber im Vollbesitz seiner Lebenskräfte weiterbesteht. Sie wären natürlich blind und taub, in gewissem Sinne auch gelähmt, weil Sie nicht mehr den Körper zur Verfügung hätten, dennoch behielten Sie voll den inneren Blick, das heißt – die Klarheit des Verstandes, Ihren geistigen Höhenflug. Sie würden ungezwungen Ihren Gedanken nachhängen können, Ihre Phantasie entwickeln und formen, Hoffnung, Trauer und Freude erleben, die aus dem Wechsel flüchtiger Seelenzustände herrühren – alles das ist dieser Seele gegeben, die ich auf Ihren Schreibtisch lege…«
»Das ist schrecklich…«, sagte ich. »Blind, taub, gelähmt… für Jahrhunderte.«
»Für die Ewigkeit«, berichtigte er mich. »Ich habe schon soviel gesagt, Herr Tichy, daß ich auch das noch hinzufügen kann: Der Kern ist Kristall – eine bestimmte Art Kristall, die in der Natur nicht vorhanden ist, eine
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