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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Presseveröffentlichungen hatte die Angelegenheit damals beträchtliches Aufsehen erregt. Eine Gesellschaft zum Kampf gegen Vivisektion bemühte sich, ihm einen Prozeß zu machen, sie hatte ihn wohl sogar geführt, aber die Sache war im Sande verlaufen. Irgendwie hatte er sich aus der Affäre gezogen. Er war Professor, rein nominell, denn er konnte keine Vorlesungen halten, er stotterte. Oder – genauer gesagt – ihm versagte die Stimme, wenn ihn etwas stark bewegte, und das kam häufiger vor. Dieser Sasul ist nicht etwa zu mir gekommen. O nein, diese Art Mensch war er nicht. Eher wäre er gestorben, als daß er sich an einen anderen gewandt hätte. Ich hatte mich einfach bei einem Spaziergang vor der Stadt im Wald verirrt, das war mir sogar angenehm, aber plötzlich begann es heftig zu regnen. Ich wollte das Unwetter unter einem Baum abwarten, doch der Regen hörte nicht auf. Der Himmel bezog sich immer mehr, und ich entschloß mich, irgendwo Schutz zu suchen. Von Baum zu Baum laufend, gelangte ich, bereits ziemlich durchnäßt, auf einen Kiesweg und von dort auf einen lange nicht benutzten und mit Unkraut bewachsenen Pfad; er führte mich zu einem Grundstück, das von einer Mauer umgeben war. Am Tor, das einstmals grün gestrichen gewesen und jetzt entsetzlich rostig war, hing eine hölzerne Tafel mit der kaum noch leserlichen Aufschrift BISSIGE HUNDE. Es drängte mich nicht gerade, mit aufgehetzten Hunden in Berührung zu kommen, aber bei dem Wetter hatte ich keine andere Wahl. Ich schnitt mir vom nächsten Strauch einen soliden Stock und ging, so bewehrt, gegen das Tor vor. Ich sage das bewußt, weil ich es erst mit größter Anstrengung unter höllischem Knarren öffnen konnte. Der Garten, der sich dahinter auftat, war dermaßen vernachlässigt, daß man nur ahnen konnte, wo einst die Stege verliefen. Im Hintergrund, verdeckt von den im Regen wogenden Bäumen, stand ein hohen, dunkles Haus mit steilem Dach. Drei Fenster der ersten Etage waren hinter weißen Vorhängen erleuchtet. Es war noch früh am Tage, aber am Himmel eilten immer dunklere Wolken dahin, so daß ich die beiden Baumreihen, die den Zugang zur Veranda flankierten, erst bemerkte, als ich mich dem Haus bereits auf fünfzig Schritt genähert hatte. Es waren Lebensbäume, wie sie auf Friedhöfen stehen. Offenbar ist der Bewohner dieses Hauses ziemlich düster veranlagt, sagte ich mir. Doch Hunde entdeckte ich entgegen der Ankündigung am Tor nicht; ich trat auf die Vortreppe und drückte, durch die herausragende Überdachung halbwegs vor dem Regen geschützt, auf den Klingelknopf. Innen surrte es, die Antwort war dumpfe Stille. Nach einer geraumen Weile klingelte ich nochmals, mit dem gleichen Erfolg. So begann ich zu klopfen, schließlich trommelte ich immer heftiger gegen die Tür; da erst vernahm ich schlurfende Schritte im Haus, und eine unangenehme, krächzende Stimme fragte: »Wer ist da?«
      Ich nannte meinen Namen in der stillen Hoffnung, daß er vielleicht nicht fremd sein werde. Auf der anderen Seite schien man zu überlegen – schließlich klirrte die Kette, Riegel knirschten, als würde eine Festung geöffnet, und im Licht des hoch an der Flurdecke hängenden Leuchters erschien ein zwergenhaftes Wesen, ein Mann. Ich erkannte ihn, obwohl ich nur einmal im Leben, ich weiß nicht einmal wo, sein Foto gesehen hatte; man konnte ihn jedoch schwerlich vergessen. Er war fast kahlköpfig. An der Seite des Schädels, über dem Ohr, verlief eine hellrote Narbe, wie von einem Säbel gezogen. Auf der Nase saß, ein wenig schief, ein goldenes Binokel. Er blinzelte, als sei er gerade aus der Dunkelheit getreten. Ich entschuldigte mich, indem ich die unter solchen Umständen üblichen Phrasen benutzte, und verstummte, aber er stand weiter vor mir, als habe er nicht die geringste Lust, mich auch nur einen Schritt in dieses große, dunkle Haus zu lassen, aus dessen Inneren kein Laut drang.
      »Sie sind Sasul, Professor Sasul… nicht wahr?« sagte ich.
      »Woher kennen Sie mich?« brummte er unhöflich.
      Ich sagte wieder etwas Banales, in dem Sinne, daß man einen so hervorragenden Gelehrten ja wohl kennen müsse. Doch er verzog nur verächtlich seinen Froschmund.
      »Ein Gewitter?« sagte er, auf meine vorherigen Worte zurückkommend. »Das höre ich auch. Na und? Konnten Sie nicht woanders hingehen? Ich mag das nicht. Ich kann das nicht ausstehen, begreifen Sie?«
      Ich sagte, daß ich ihn genau verstünde und daß ich keineswegs

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