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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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folgte, möchte ich nicht schildern. Ich mußte das tun, selbst wenn ich hinterher erkennen sollte, daß er mich betrogen hatte und alles, was er sagte, von Anfang bis Ende erlogen war; denn ich wußte, ließ ich ihn gehen, so würde auf dem Grunde meiner Seele… auf dem Grunde meiner körperlichen, blutigen Seele der Gedanke glimmen, daß irgendwo, in einem mit allerlei Plunder vollgestopften Schreibtisch, in einer Schublade voller Kleinkram, ein menschlicher Geist ruht, das lebende Bewußtsein dieser unglücklichen Frau, die er getötet hatte. Und als wäre das noch nicht genug, hatte er sie mit dem Schrecklichsten bedacht, was einem widerfahren kann, mit dem Schrecklichsten, sage ich, weil es nichts gibt, was einer Verurteilung zu einsamer Ewigkeit gleichkäme. Das Wort allein sagt uns natürlich wenig. Bitte versuchen Sie, wenn Sie nach Hause zurückkehren, sich in einem dunklen Zimmer hinzulegen, so daß kein Laut oder Strahl zu Ihnen dringt. Dann schließen Sie die Augen und stellen Sie sich vor, daß Sie in diesem Zustand verharren werden, in endgültiger Ruhe, ohne jede, auch nicht die geringste Veränderung, Tag und Nacht, und wieder einen Tag, daß Wochen so vergehen werden, deren Zahl Sie nicht festzustellen vermögen, Monate, Jahre, Jahrhunderte – und daß Ihr Hirn vorher einem solchen Eingriff unterzogen worden ist, daß nicht einmal die Flucht in den Wahn möglich sein wird. Schon der Gedanke, daß es jemanden gibt, der zu solch einer Qual verurteilt worden ist, angesichts der alle Bilder höllischer Qualen nur ein Kinderspiel sind, brannte während des düsteren Feilschens unerträglich in mir. Es ging natürlich um die Vernichtung, die Summe, die er verlangte – meine Herren, ersparen Sie mir die Einzelheiten. Ich will nur soviel sagen: Mein ganzes Leben lang habe ich mich für einen Geizhals gehalten. Wenn ich heute daran zweifele, dann deshalb, weil… nun, nichts. Mit einem Wort: Das war keine Bezahlung. Es war alles, was ich damals hatte, Geld… jawohl. Wir zählten es… Und dann sagte er, ich solle das Licht ausmachen. Im Dunkeln raschelte zerfetztes Papier, und plötzlich… Auf rechteckigem, weißlichem Untergrund, einem Wattekissen, zeichnete sich, wie ein flüssiger Edelstein, ein ganz schwacher Schimmer ab. In dem Maße, wie ich mich an das Dunkel gewöhnte, glomm er immer stärker mit einem bläulichen Glanz. Da bückte ich mich – im Nacken spürte ich Decantors ungleichmäßigen, schweren Atem –, ergriff den bereitgelegten Hammer, und mit einem Schlag…
      Meine Herren, ich denke, daß er dennoch die Wahrheit gesprochen hatte. Denn als ich zuschlug, versagte mir die Hand den Gehorsam, und ich bröckelte nur etwas von dem ovalen Kristall ab… und trotzdem verlosch er. Im Bruchteil einer Sekunde erfolgte gewissermaßen eine mikroskopisch kleine, lautlose Explosion – Myriaden lilafarbener Stäubchen wirbelten wie in Panik auf und verschwanden. Es wurde völlig dunkel. In dieser Dunkelheit sagte er mit lebloser, dumpfer Stimme: »Zerstören Sie das nicht weiter, Tichy… Es ist bereits geschehen.«
      Er nahm mir das aus den Händen, und ich glaubte ihm, denn ich hatte einen augenfälligen Beweis, außerdem fühlte ich es. Ich vermag nicht zu sagen, wie. Ich machte Licht. Geblendet sahen wir einander an, wie zwei Verbrecher. Er stopfte sich die Rocktaschen mit den Banknotenbündeln voll und ging ohne ein Wort des Abschieds.
      Seither habe ich ihn nie wieder gesehen und weiß auch nicht, was aus ihm geworden ist – aus diesem Erfinder der unsterblichen Seele, die ich getötet habe.

    III

    Den Mann, von dem ich sprechen will, habe ich nur einmal gesehen. Bei seinem Anblick würden Sie schaudern. Ein buckliger Gnom unbestimmten Alters mit einem Gesicht, das in eine zu geräumige Haut gekleidet schien – so viele Falten und Runzeln waren darauf; obendrein hatte er einen kürzeren Halsmuskel und hielt den Kopf immer nach der einen Seite, als wollte er den eigenen Buckel betrachten, habe sich jedoch mitten in der Bewegung eines Besseren besonnen. Ich sage nichts Neues, wenn ich behaupte, daß Verstand selten mit Schönheit gepaart ist, er jedoch, der eine wahre Verkörperung des Gebrechens war und Abscheu weckte statt Mitleid, hätte wohl ein Genie sein müssen, obwohl auch dann noch sein bloßes Erscheinen unter Menschen Schrecken verbreitet hätte – Sasul also… Er hieß Sasul. Ich hatte vor längerer Zeit von seinen scheußlichen Versuchen gehört. Auf Grund von

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