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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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mich darüber zu wundern, denn schon wurde meine Aufmerksamkeit von anderen Eigentümlichkeiten des Raums in Anspruch genommen. In der Mitte stand ein Tisch, eigentlich waren es zwei Böcke mit darüberliegenden, schlecht gehobelten Brettern; darauf türmten sich ganze Stöße von Büchern, Papieren, vergilbten Knochen. Das Besondere aber an dem Zimmer waren seine Wände. Auf großen, primitiv zusam mengenagelten Regalen standen Reihen dickwandiger Flaschen und Gläser, und gegenüber dem Fenster, in einer Lücke zwischen den Regalen, stand ein riesiger Glasbehälter, gewissermaßen ein Aquarium von den Ausmaßen eines Schranks oder eher eines durchsichtigen Sarkophags. Seinen oberen Teil verhüllte ein liederlich darübergeworfenes schmutziges Tuch, dessen zerschlissene Enden etwa bis zur halben Höhe der gläsernen Wände reichten, aber mich ließ schon erstarren, was ich im unteren Teil sah.
      In allen Gläsern und Flaschen schimmerte eine etwas trübe bläuliche Flüssigkeit, wie in einem anatomischen Museum, in dem verschiedene, von Sektionen herrührende, einst lebende Organe in konservierendem Spiritus gehalten werden. Ein ebensolches Gefäß, nur von riesigem Ausmaß, war jener Glasbehälter, auf dem der Lappen lag. In seiner dämmrigen Tiefe, in der ein bläulicher Schimmer unsicher glomm, bewegten sich knapp über dem Boden, ganz langsam, mit der unendlichen Geduld eines Pendels, zwei Schatten, in denen ich mit unsäglichem Ekel Menschenbeine erkannte, die in spiritusdurchtränkten Hosenbeinröhren steckten.
      Ich stand wie versteinert da, auch Sasul rührte sich nicht, ich spürte seine Anwesenheit überhaupt nicht; als ich den Blick auf ihn richtete, sah ich, daß er sehr froh war. Meine Empörung, mein Abscheu schienen ihn zu freuen. Er hielt die Hände zusammengefügt vor der Brust, wie zum Gebet, und ließ ein zufriedenes Räuspern hören.
      »Was soll das bedeuten, Sasul?« rief ich mit erstickter Stimme. »Was ist das?«
      Er wandte sich um, so daß ich sehen konnte, wie sich der entsetzliche, spitze Buckel – ich fürchtete instinktiv um die darübergespannte Jacke – leicht im Takt seiner Schritte wiegte.
      Als er sich auf seinem Hocker niedergelassen hatte, der eine wunderliche, nach beiden Seiten gespreizte Rückenlehne besaß (scheußlich dieses Möbelstück des Buckligen), sagte er, plötzlich fast gleichgültig, ja gelangweilt: »Das ist eine lange Geschichte, Tichy. Sie wollten das Gewitter abwarten? Setzen Sie sich irgend wohin und stören Sie mich nicht. Ich sehe keinen Anlaß, Ihnen irgend etwas zu erzählen.«
      »Aber ich sehe einen«, entgegnete ich. Bis zu einem gewissen Grade hatte ich meine Beherrschung wiedererlangt. In der Stille, die nur von dem Rauschen und Plätschern des Regens erfüllt war, trat ich zu ihm und sagte: »Wenn Sie mir das nicht erklären, Sasul, muß ich Schritte unternehmen… die Ihnen viel Scherereien bereiten könnten.«
      Ich dachte, er würde aufbrausen, aber er rührte sich nicht einmal. Er sah mich nur eine Weile mit spöttisch heruntergezogenen Mundwinkeln an.
      »Sagen Sie selbst, Tichy – was soll ich davon halten? Draußen tobt ein Gewitter, es gießt, Sie trommeln an meiner Tür, kommen ungebeten herein, drohen mir mit Schlägen, und dann, als ich aus angeborener Sanftmut nachgebe, als ich auf Ihren Wunsch eingehe, habe ich die Ehre, neue Drohungen zu vernehmen: Nach den Schlägen drohen Sie mir mit Gefängnis. Ich bin Gelehrter, bester Herr, und kein Bandit. Ich fürchte weder das Gefängnis noch Sie, ich fürchte überhaupt nichts, Tichy.«
      »Da drinnen ist doch ein Mensch«, sagte ich, ohne auf sein Geschwätz zu achten, denn das war offensichtlicher Spott. Zweifellos hatte er mich mit Vorbedacht hergeführt, damit ich die scheußliche Entdeckung machte. Ich schaute über seinen Kopf hinweg auf jenen schrecklichen Doppelschatten, der sich weiterhin sanft in der Tiefe der blauen Flüssigkeit wiegte.
      »Aber gewiß doch«, erwiderte Sasul bereitwillig. »Gewiß doch.«
      »Glauben Sie nicht, daß Sie sich da herauswinden können!« rief ich.
      Er beobachtete mich, plötzlich ging etwas in ihm vor, er schüttelte sich, seufzte – und mir standen die Haare zu Berge: Er kicherte.
      »Tichy«, sagte er, als er sich etwas beruhigt hatte, aber in seinen Augen tanzten noch immer teuflische Fünkchen, »wollen Sie mit mir wetten? Ich erzähle Ihnen, wie es dazu« – er deutete mit dem Finger auf den

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