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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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die Absicht hätte, ihn zu stören. Ein Stuhl oder ein Hocker hier in der dunklen Diele würden mir genügen; ich wolle nur das schlimmste Unwetter abwarten und dann gehen.
      Doch der Regen prasselte nun erst richtig los, und während ich in der leeren, hohen Diele wie auf dem Grunde einer riesigen Muschel stand, hörte ich sein unablässiges, von allen Seiten kommendes Rauschen, das über uns, auf dem Blechdach, in einem entsetzlichen Getrommel gipfelte.
      »Einen Stuhl?« sagte er in einem solchen Ton, als verlangte ich von ihm einen goldenen Thron. »Natürlich, einen Stuhl! Ich habe für Sie keinen Stuhl, Herr Tichy. Ich habe keinen Stuhl übrig. Ich dulde nicht – und überhaupt, ich glaube, ja, ich glaube, daß es für uns beide besser sein wird, wenn Sie gehen.«
      Über die Schulter blickte ich unwillkürlich in den Garten – die Eingangstür stand noch offen. Die Bäume, die Sträucher, alles war eine einzige vom Wind gepeitschte Masse, die in Strömen von Wasser glänzte. Ich heftete den Blick wieder auf den Buckligen. In meinem Leben war ich schon oft auf Unhöflichkeit, ja auf Gemeinheit gestoßen, aber so etwas hatte ich noch nicht erlebt. Es goß wie aus Kannen, das Dach dröhnte unaufhörlich, als wollten mich die Elemente auf diese Weise in meiner Entschlossenheit bestärken, überflüssigerweise, denn meine heftige Natur begann bereits zu rebellieren. Geradeheraus gesagt: Mich packte die Wut. Ich ließ alle Komplimente und Höflichkeit fahren und sagte trocken: »Ich gehe nur dann, wenn Sie es schaffen, mich mit Gewalt hinauszusetzen, aber ich muß Ihnen sagen, daß ich nicht gerade ein Schwächling bin.«
      »Wie!« kreischte er. »Unverschämtheit! Wie können Sie es wagen, in meinem eigenen Haus!«
      »Sie haben mich selbst provoziert«, erwiderte ich eisig. Und da mein Temperament nun einmal mit mir durchgegangen war und sein gellendes Geschrei mich vollends aus dem Gleichgewicht brachte, fügte ich hinzu: »Es gibt Verhaltensweisen, Sasul, für die man sogar im eigenen Haus Prügel beziehen kann!«
      »Du Gauner!« schrie er noch lauter. Ich packte ihn beim Arm, der aus einem morschen Ast geschnitzt schien, und zischte: »Ich vertrage kein Geschrei. Verstanden? Noch eine Beleidigung, und Sie werden Ihr Lebtag an mich denken, Sie Lümmel, Sie!«
      Einen Augenblick lang dachte ich, daß es wirklich zu Handgreiflichkeiten kommen würde, und ich schämte mich, denn wie könnte ich meine Hand gegen einen Buckligen erheben! Aber da geschah etwas, was ich am allerwenigsten erwartet hatte. Der Professor wich zurück, befreite sich aus meinem Griff und begann, den Kopf noch stärker geneigt, als wollte er sich vergewissern, ob der Buckel noch da sei, widerlich dünn zu kichern. Als hätte ich ihm einen glänzenden Witz aufgetischt.
      »Na, na«, sagte er und nahm das Binokel ab. »Sie sind ja ein ganz Resoluter, Tichy…«
      Mit der Kuppe seines langen, nikotingelben Fingers wischte er sich eine Träne aus dem Auge.
      »Nun gut«, girrte er heiser, »das hab ich gern. Ja, ich gebe zu, das hab ich gern. Ich ertrage nur nicht diese Heiligenmanieren, dieses Süßholzraspeln und falsche Getue, aber Sie haben gesagt, was Sie dachten. Ich kann Sie nicht leiden und Sie mich nicht, wir sind quitt, alles ist klar, und Sie können mir folgen. Ja, ja, Tichy, Sie haben mich beinahe überrascht. Mich, immerhin…«
      So vor sich hin meckernd, führte er mich eine quietschende, vor Alter dunkel gewordene Holztreppe hinauf. Sie wand sich rechtwinklig um die große quadratische Diele mit der nackten Holztäfelung.
      Ich schwieg, und Sasul sagte, als wir uns in der ersten Etage befanden: »Tichy, es läßt sich nicht umgehen, ich kann mir keine Salons, keine Gästezimmer leisten, Sie werden also alles sehen. Ja, ich schlafe inmitten meiner Versuchsstücke, ich esse mit ihnen, ich lebe hier – gehen Sie hinein, aber reden Sie nicht zuviel.«
      Der Raum, in den er mich führte, war eben jenes Zimmer mit den erleuchteten Fenstern, vor denen große Bögen einst weißen, nun aber ungewöhnlich schmutzigen und mit Fettflecken bedeckten Papiers hingen. Die Bögen waren über und über mit zerdrückten Fliegen besät, und auch auf den Fensterbrettern war es schwarz von Fliegenleichen; selbst auf der Tür bemerkte ich, als ich sie schloß, kommaartige Spuren und vertrocknete, blutige Insektenreste, als wäre Sasul hier von allem belagert, was Hautflügler war. Aber ich kam gar nicht dazu,

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