Sterntagebücher
Homunkulus!« schrie ich. »Dieser Traum der Alchimisten… Ich verstehe… Sie behaupten… Und selbst wenn es so wäre! Sie haben diesen Menschen geschaffen, nicht wahr? Und Sie meinen, Sie hätten ein Recht gehabt, ihn zu töten? Und daß ich dieses Verbrechen gutheiße? Oh, da haben Sie sich sehr… sehr geirrt, Sasul…«
»Das ist noch nicht alles«, versetzte Sasul kühl. Sein Kopf schien unmittelbar aus dem unförmigen Quader des Buckels herauszuwachsen. »Zunächst wurden selbstverständlich Versuche an Tieren durchgeführt. Dort in den Gläsern haben Sie paarweise Hähne, Kaninchen, Hunde – in den Gefäßen, die mit einem weißen Etikett gekennzeichnet sind, befinden sich die originalen Geschöpfe, die echten… In den anderen, mit schwarzem Etikett, sind die von mir geschaffenen Zwillingskopien. Unterschiede bestehen da nicht, und wenn Sie die Etiketts entfernen, ist es unmöglich, herauszufinden, welches Tier auf natürliche Weise geboren wurde und welches aus meiner Retorte stammt…«
»Gut«, sagte ich. »Meinetwegen. Aber warum haben Sie ihn getötet? Warum? War er nicht… voll bei Verstand? Unterentwickelt? Doch selbst in diesem Fall hatten Sie kein Recht…«
»Beleidigen Sie mich nicht!« fauchte er. »Der Vollbesitz der Geisteskräfte ist selbstverständlich, Tichy, die volle Entwicklung, haargenau gleichend allen Merkmalen des Originals im Bereich des Somas… In psychischer Hinsicht jedoch sind größere Möglichkeiten angelegt, als sie der biologische Prototyp manifestierte… Ja, das ist etwas mehr als die Schaffung eines Zwillings, ein Werk, vollkommener als eine Zwillingskopie… Professor Sasul hat die Natur übertroffen. Übertroffen, verstehen Sie!«
Ich schwieg. Er erhob sich, trat an den Behälter, stellte sich auf die Zehenspitzen und zog mit einer einzigen Bewegung den zerfetzten Vorhang herunter. Ich wollte nicht hinsehen, aber mein Kopf wandte sich von selbst dorthin, und ich erblickte durch das Glas, durch die trübe Spiritusschicht das erschlaffte, ausgelaugte Gesicht Sasuls… seinen großen, schwimmenden, einem Rucksack gleichenden Buckel, die Schöße seiner Jacke, in der Flüssigkeit flatternd wie schwarze, durchnäßte Flügel… das weißliche Schimmern der Augäpfel… die nassen, zusammengeklebten grauen Strähnen des Bärtchens… Ich stand da, wie vom Blitz getroffen, und er quäkte: »Wie Sie sich denken können, ging es darum, das Werk unvergänglich zu machen. Ein Mensch, selbst ein künstlich erzeugter, ist sterblich. Es ging also darum, daß er nicht zu Staub zerfiel, daß ein Denkmal zurückblieb… Ja, darum ging es. Doch dann, Tichy, kam es zu wesentlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und mir. Deshalb gelangte nicht ich… sondern Er in den Behälter… er… er, Professor Sasul, während ich, ich – eben ich bin…«
Er kicherte, aber ich hörte es nicht. Ich hatte das Gefühl, in einen Abgrund zu stürzen. Ich blickte von seinem lebenden, von einer freudigen Grimasse verzerrten Gesicht auf jenes andere leblose, das wie ein gräßliches Unterwassergeschöpf hinter der Glasscheibe schwamm… und ich bekam den Mund nicht auf. Es war still. Der Regen hatte fast aufgehört, nur das ersterbende Totengeläut der Dachrinnen schien sich mit den Windböen zu entfernen, zu verstummen und wieder zurückzukehren.
»Lassen Sie mich hinaus«, sagte ich, aber ich erkannte meine Stimme nicht.
Ich schloß die Augen und wiederholte dumpf: »Lassen Sie mich hinaus, Sasul. Sie haben gewonnen.«
IV
An einem Herbstnachmittag, als die Dunkelheit bereits die Straßen verhüllte und ein gleichmäßiger, feiner grauer Regen fiel, ein Regen, der die Erinnerung an die Sonne fast unglaubwürdig macht und bei dem man um nichts in der Welt sein Plätzchen am Kamin verlassen möchte, wo man über alten Büchern sitzt (man sucht darin nicht die wohlvertrauten Inhalte als vielmehr sich selbst, der man vor Jahren war), da klopfte unerwartet jemand an meine Tür. Es war ein ungestümes Pochen, als wollte der Ankömmling, der die Klingel erst gar nicht betätigte, gleich zu erkennen geben, daß sein Erscheinen einen heftigen, ich möchte sagen verzweifelten Charakter trage. Ich legte das Buch weg, ging in den Flur und öffnete ihm. Ich erblickte einen Mann in einem Wettermantel, der von Wasser troff; auf seinem Gesicht, das vor Erschöpfung verzerrt war, glänzten Regentropfen. Er sah mich nicht an – er stand da, völlig entkräftet, die
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