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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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schon lange ein bißchen verdreht – Hilfe!
      Nach einer Nacht, die ich mit düsteren Betrachtungen zubrachte, ging ich in ein Warenhaus im Zentrum, kaufte für dreißig Ferklose das schärfste Hackebeil, das ich bekommen konnte, und stahl mich nach Einbruch der Dunkelheit in den großen Garten, der den Palast des Kalkulators umgab. Dort, im Gebüsch versteckt, befreite ich mich mit Hilfe einer Zange und eines Schraubenziehers von meinem eisernen Panzer und kletterte leise, barfuß an der Regenrinne hinauf ins obere Geschoß. Ein Fenster stand offen. Im Flur schritt ein Wärter dumpf dröhnend auf und ab. Als er mir am anderen Ende des Flurs den Rücken zukehrte, sprang ich vom Fensterbrett, rannte rasch zur ersten Tür und trat leise ein – er hatte mich nicht bemerkt.
      Das war derselbe große Saal, in dem ich die Stimme des Kalkulators vernommen hatte. Finsternis herrschte darin. Ich schob den schwarzen Vorhang beiseite und erblickte die gewaltige, bis zur Decke reichende Wand des Kalkulators mit Uhren, die wie Augen leuchteten. An der Seite war ein weißer Ritz sichtbar. Dort befand sich eine Tür, die nur angelehnt war. Ich näherte mich ihr auf Zehenspitzen und hielt den Atem an.
      Das Innere des Kalkulators sah wie ein kleines Zimmer in einem zweitrangigen Hotel aus. Hinten stand ein kleiner, halboffener Panzerschrank, im Schloß steckte ein Schlüsselbund. An einem Schreibtisch, der mit Papieren bedeckt war, saß ein ältlicher, hagerer Mann in grauem Anzug, mit bauschigen Ärmelschonern, wie sie Büroangestellte tragen, und schrieb, indem er Seite für Seite gedruckte Formulare ausfüllte. Neben seinem Ellenbogen dampfte ein Glas Tee. Auf einem kleinen Teller lagen ein paar Kekse. Ich trat auf Zehenspitzen herein und schloß hinter mir die Tür. Sie quietschte nicht.
      »Psst«, sagte ich, während ich das Hackebeil mit beiden Händen hochhob.
      Der Mann zuckte zusammen und sah mich an; das blitzende Hackebeil in meinen Händen versetzte ihn in panische Angst. Sein Gesicht verzerrte sich, er fiel vom Stuhl auf die Knie.
      »Nein!« stöhnte er. »Nicht!«
      »Wenn du die Stimme erhebst, kommst du elend um«, sagte ich. »Wer bist du?«
      »He… Heptagonius Argusson, Euer Gnaden.«
      »Ich bin kein Euer Gnaden. Du sollst mich mit Herr Tichy anreden, verstanden?!«
      »Jawohl, ja, ja!«
      »Wo ist der Kalkulator?«
      »He… Herr…«
      »Einen Kalkulator gibt es gar nicht, wie?«
      »Jawohl! Einen solchen Befehl hatte ich!«
      »Bitte, von wem, wenn man fragen darf?«
      Er zitterte am ganzen Körper.
      Flehend hob er die Hände. »Das kann übel enden«, stöhnte er. »Mitleid! Zwingen Sie mich nicht, Euer Gna… Verzeihung! Herr Tichy! Ich – ich bin nur ein Beamter der sechsten Besoldungsgruppe…«
      »Nein, was höre ich? Und der Kalkulator? Und die Roboter?«
      »Herr Tichy, erbarmen Sie sich! Ich will die ganze Wahrheit sagen! Unser Chef – er hat das organisiert. Es ging um Kredite, um die Erweiterung der Tätigkeit, um eine größere… äh… Operativität… die Tauglichkeit unserer Leute sollte überprüft werden, aber die Hauptsache waren die Kredite…«
      »Also war alles fingiert? Alles?«
      »Ich weiß es nicht! Ich schwöre! Seit ich hier bin – hat sich nichts geändert, glauben Sie nicht, daß ich hier regiere. Gott bewahre! Meine Aufgabe ist nur das Ausfüllen von Personalakten. Es ging darum, ob… ob unsere Leute im Angesicht des Feindes, in einer kritischen Situation zusammenbrechen oder ob sie bereit sind zu sterben.«
      »Und warum kehrte niemand zur Erde zurück?«
      »Weil… weil alle verraten haben, Herr Tichy… Bisher war keiner bereit, für die Klumpe in den Tod zu gehen… Pfui, für uns, wollte ich sagen, das ist mir nur so rausgerutscht, aus Gewohnheit, das müssen Sie verstehen. Elf Jahre sitze ich hier, in einem Jahr erwarte ich meine Pensionierung, ich habe Frau und Kinder, Herr Tichy, ich flehe Sie an…«
      »Halt’s Maul!« sagte ich ärgerlich. »Die Pensionierung erwartest du Schurke, ich werde dir schon eine Pensionierung verschaffen!«
      Ich hob das Hackebeil. Dem Beamten traten die Augen aus den Höhlen, er rutschte auf den Knien zu mir.
      Ich befahl ihm aufzustehen. Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß der Panzerschrank einen kleinen vergitterten Luftschacht besaß, schloß ich den Kerl ein.
      »Kein Sterbenswörtchen! Und daß du es ja nicht wagst, Lärm zu schlagen oder

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