Sterntagebücher
gleichen Platten wie die, auf der ich gelandet war; einige waren leer, an anderen wurde gearbeitet. Ich will nicht verhehlen, daß ich schon ein paar bissige Bemerkungen an die Adresse Rosenbeißers auf der Zunge hatte, auch an die Adresse der anderen Schöpfer des temporalen Sackes, mit dem sie mich von zu Hause weggeschleust hatten, aber ich schwieg, denn mir wurde plötzlich klar, woran mich diese gewaltige Halle erinnerte. Sie sah aus wie ein gigantisches Filmstudio! Drei Menschen in Rüstungen schritten an uns vorüber; der erste hatte einen Pfauenschwanz am Helm und einen vergoldeten Schild, die Helfer rückten seinen mit Edelsteinen besetzten Ringkragen zurecht; ein Arzt verabreichte ihm eine Injektion in den entblößten Unterarm, ein anderer knüpfte schnell die Riemen der Bleche zusammen, man reichte ihm ein zweihändiges Schwert und einen breiten Mantel, der mit Greifvögeln als Wappenzeichen verziert war; die beiden anderen, in einfachem Eisen, sicherlich die Knappen, setzten sich bereits auf die Sättelchen eines Chronozykels im Zentrum des Schildes, und aus dem Megaphon ertönte eine Stimme: »Achtung… zwanzig… neunzehn… achtzehn…«
»Was ist das?« fragte ich verblüfft, denn gleichzeitig bewegte sich etwa achtzig Meter weiter eine Prozession von hageren Leuten mit riesigen Turbanen; auch ihnen wurden Injektionen verabreicht, mit einem von ihnen zankte sich ein Techniker, man hatte nämlich entdeckt, daß der Reisende eine kleine Pistole unter seinem Burnus versteckt hatte; ich sah Indianer in Kriegsbemalung, mit frisch geschärften Tomahawks, denen die Laboranten fieberhaft den Federschmuck aufsetzten, und auf einem kleinen Holzwagen schob ein Diener mit weißer Schürze einen entsetzlich schmutzigen, verwahrlosten Bettler ohne Beine, der wie ein Ei dem anderen den monströsen Invaliden Breughels glich, zu einem anderen Schild.
»Null!« verkündete der Lautsprecher. Die drei Gepanzerten verschwanden mit dem Chronozykel in einem kleinen Lichtschein, der in der Luft in weißlichem Rauch zerfloß, welcher an den Rauch von verbrannter Magnesia erinnerte; ich kannte bereits diesen Effekt.
»Das sind unsere Befrager«, erläuterte Rosenbeißer. »Sie untersuchen die öffentliche Meinung in den verschiedenen Jahrhunderten – statistische Materialien, wissen Sie, Informationsmaterial, nichts weiter. Wir haben noch keine Verbesserungsmaßnahmen getroffen, weil wir auf Sie gewartet haben!«
Er wies mir mit der Hand den Weg und eilte mir nach; ich hörte zählende Stimmen, einmal hier, einmal dort, es blitzte, Streifen weißlichen Rauchs lösten sich auf, weitere Gruppen von Meinungsforschern verschwanden, unterdessen kamen bereits neue, es war wie in einem riesigen Atelier bei Aufnahmen zu einem superkitschigen historischen Schinken. Ich stellte fest, daß man keine anachronistischen Gegenstände in die Vergangenheit mitnehmen durfte, die Meinungsforscher bemühten sich jedoch, sie aus Trotz oder der Bequemlichkeit halber durchzuschmuggeln; mir kam der Gedanke, daß man hier mit eisernem Besen Ordnung schaffen mußte, aber ich fragte nur: »Und wie lange dauert ein solches Sammeln von Daten? Wann kehrt zum Beispiel dieser Ritter mit den Knappen zurück?«
»Wir halten uns an den Plan«, sagte Rosenbeißer mit zufriedenem Lächeln. »Die drei sind schon gestern zurückgekehrt.«
Ich sagte nichts und überlegte, daß es mir nicht leichtfallen würde, mich an die Lebensbedingungen in der chronomotionalen Zivilisation zu gewöhnen. Da das Elektromobil vom Labor, das uns zum Gebäude der Direktion bringen sollte, eine Panne hatte, befahl Rosenbeißer ein paar Meinungsforschern, die Beduinen verkörperten, von den Kamelen zu steigen, und mit diesem improvisierten Beförderungsmittel gelangten wir an Ort und Stelle.
Mein Arbeitszimmer war ungeheuer groß, es war in modernem, das heißt durchsichtigem Stil eingerichtet, und das ist im Grunde noch milde ausgedrückt, denn man konnte die meisten Sessel gar nicht sehen, und wenn ich an meinem Schreibtisch saß, zeigten nur die Stöße von Papieren an, wo sich die Tischplatte befand. Da ich nun beim Arbeiten den Kopf gesenkt hielt, sah ich stets meine eigenen Beine in den gestreiften Hosen, und der Anblick dieser Streifen erschwerte mir die Konzentration; ich ordnete später an, alle Möbel mit Farbe nachzustreichen, damit sie für das Auge undurchsichtig wurden. Als das geschehen war, zeigte es sich, daß sie geradezu
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