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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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das berühmte Rätsel der Astronomen des
    19. und des 20. Jahrhunderts entstanden, denn damals konnte man nicht begreifen, wie die vielen Krater auf den Mond geraten waren. Sie dachten sich zu diesem Thema zwei Theorien aus – die vulkanische und die Meteoritentheorie.
      Einfach komisch. Urheber der sogenannten vulkanischen Krater war der Zeitingenieur Gestirner, der für die LIEBKOSI verantwortlich zeichnete, sowie der Autor der »Meteoritenkrater« Astroianni, der die Athene vor drei Milliarden Jahren anvisierte und sie in Staub zermalmte, während der Rückstoß des Chronoklasmus, nach allen Seiten ausschlagend, die Drehbewegung der Venus vollends abbremste und dem Mars zwei falsche Satelliten beifügte, die sich in einer verrückten Bewegung drehten, umgekehrt als vorgesehen, so daß es dagegen geradezu eine Lappalie war, daß dieser »Spezialist« die Mondoberfläche in einen wahren Artillerieschießplatz verwandelte, auf den im Verlaufe einer Milliarde von Jahren die Athenesplitter herunterfielen. Als ich erfuhr, daß ein Splitter des Chronotraktors, der von einer Explosion in die Zeit vor
    2.950.000.000 Jahren geschleudert wurde und prähistorische Zeiten erreichte, in den Ozean geflogen war, seinen Boden durchbohrte und unterwegs die Atlantis versenkte, warf ich die Urheber der komplexen Katastrophe persönlich aus dem Projekt hinaus und wandte gegenüber den für die Gesamtheit der Operation Verantwortlichen jene Sanktionen an, die meinem vorher gefaßten Entschluß entsprachen. Ein Protest beim Rat half ihnen nichts.
    Den Professor Nardeau de Vince verbannte ich ins 16. Jahrhun
    dert und Boskovic ins 17. damit sie nicht zusammenkommen und gegen mich intrigieren konnten. Wie man weiß, hatte Leonardo da Vinci sein ganzes Leben lang versucht, ein Zeitauto zu bauen, aber es ist ihm nicht gelungen; die sogenannten »Hubschrauber« Leonardos und andere Maschinen, ebenso wunderlich wie unbegreiflich für seine Zeitgenossen, waren die mißratenen Früchte seiner Bemühungen, der Verbannung in die Zeit zu entfliehen.
      Boskovic verhielt sich, wenn man das so sagen darf, vernünftiger. Er war ein äußerst fähiger Mann, mit einem präzisen Geist, seiner Ausbildung nach ein Mathematiker; er wurde im 17. Jahrhundert zwar ein berühmter, aber allgemein verkannter Denker. Er versuchte Ideen der theoretischen Physik zu popularisieren, aber keiner seiner Zeitgenossen begriff auch nur ein Wort in seinen Traktaten. Um ihm die Verbannung zu versüßen, schickte ich ihn nach Ragusa (Dubrownik), weil ich privat mit ihm sympathisierte, mich aber gezwungen sah, die Verantwortlichen streng zu bestrafen, obwohl mir der Wissenschaftliche Rat das verübelte. So endete denn die erste Phase des Projekts mit einem kompletten Fiasko, weil ich mein Veto einlegte und jeden weiteren Versuch der Serie GENESIS unterband. Es waren schon genug Investitionen vergeudet worden. Die kolossale Brache der Jupitergloben, der restlos ausgeglühte Mars, die doppelt vergiftete Venus, der ruinierte Mond (die sogenannten Mascons, die Konzentrationen von Masse unter seiner Oberfläche, sind tief in den Boden gewühlte, in Lava erstarrte Spitzenüberreste von TROTTEL und LIEBKOSI), die verbogene Erdachse, das Loch im Boden des Ozeans, das durch diesen Sprung verursachte Auseinandergehen Eurasiens und der beiden Amerikas – all das war die traurige Bilanz der bisher unternommenen Operationen. Dennoch versagte ich es mir, in Resignation zu verfallen, und eröffnete den Mannschaften des historischen Referats das Feld zu schöpferischer Optimalisierung.
      Es bestanden, wie schon gesagt, zwei Ressorts; das für menschliche (Doz. Harry S. Totteles) und das für außermenschliche Angelegenheiten (Ing. Goodlay); an der Spitze des Referats stand der Professor P. Latton, der durch seinen Radikalismus und seine Kompromißlosigkeit von Anfang an ein gewisses Mißtrauen in mir hervorrief. Deshalb wollte ich immer noch nicht an die eigentliche Geschichte herangehen, denn immerhin war die Erzeugung solcher vernünftigen Individuen, die sich selbst gehörig zivilisiert hätten, richtiger. Ich mäßigte also Latton und Totteles (was mir nicht leichtfiel – dermaßen juckten ihnen die Finger, Geschichte zu machen) und empfahl Goodlay die Ingangsetzung der Evolution des Lebens auf der Erde. Damit man mir nicht die Knebelung des schöpferischen Schaffens nachsagte, stattete ich das HOPS-Projekt (Homo perfectus sapiens) mit einer erheblichen Autonomie aus. Ich

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