Sterntagebücher
lief, war von ihnen bis zur vollständigen Verblödung geführt worden. Es blieben nur noch zwei Möglichkeiten offen: entweder den vernünftigen Menschen aus Abfällen am Rande zu erzeugen oder die sogenannte »Evolution mit Durchstich« zu betreiben, das heißt mit dem Durchschlagen der verspundeten Entwicklungslinien. Aber ein Durchstich mit Gewalt war unzulässig, weil solche ausgesprochenen Einmischungen von den Paläontologen später als Wunder erklärt worden wären; ich hatte indessen schon lange jede Art von Wundertätigkeit verboten, um künftige Generationen nicht irrezuführen.
Die undisziplinierten Projektanten schickte ich in alle vier Winde, das heißt Zeiten; dann kam es zu Hekatomben ihrer mißratenen Schöpfungen, denn sie verendeten, da sie nicht vollkommen ausgereift waren, zu Millionen. Das, was man sich erzählte, daß nämlich ich diese Gattungen umbringen ließ, ist nur eine der vielen Verunglimpfungen, mit denen man nicht geizte, um mir eins auszuwischen. Nicht ich hatte das Leben wie einen Schrank aus einer Ecke des Evolutionsprozesses in die andere verschoben, nicht ich hatte dem Amöbododo den Rüssel verdoppelt, nicht ich hatte das Kamel (gigantocamelus) bis zu den Ausmaßen eines Elefanten aufgeblasen, nicht ich hatte meine Zeit mit Walen vertrödelt, nicht ich hatte die Mammute zur Selbstvernichtung geführt, denn ich lebte von der Idee des Projekts und nicht von ausschweifendem Spiel, in das die Gruppe Goodlay die Evolution verwandelt hatte. Eyck und Bosch verbannte ich ins Mittelalter, Ohmer hingegen, dafür, daß er das Leitbild des HOPS parodiert hatte (er verfertigte unter anderem einen Pferdemenschen und eine Frau als Fisch, obendrein ausgestattet mit einer hohen Sopranstimme), bis ins Altertum, nach Thrazien. Und wieder erfolgte das, was ich auch später noch so manches Mal erlebte. Die aus ihren Stellungen entlassenen Verbannten, die nun nicht mehr in der Lage waren, schöpferisch tätig zu sein, entluden ihre Frustration in einem Er satzschaffen. Wer so neugierig ist zu erfahren, was zum Beispiel ein Bosch noch in petto hatte, der mag sich seine Bilder ansehen. Natürlich war er ein großes Talent – das läßt sich schon daraus ersehen, wie sehr er sich dem Geist der Zeit anzupassen vermochte; daher auch die vordergründige religiöse Thematik seiner Gemälde, all die Jüngsten Gerichte und Höllen. Übrigens konnte sich Bosch gewisser Indiskretionen nicht enthalten. Im »Garten der irdischen Freuden«, in der »Hölle der Musik« (der rechte Flügel des Triptychons) steht in der Mitte ein Chronobus für zwölf Personen – was sollte ich damit anfangen?
Was H. Ohmer betrifft, so hatte ich wohl richtig gehandelt, als ich ihn auf der Spur seiner Kreaturen in das alte Griechenland verbannte. Das, was er gemalt hat, ging verloren, aber seine Schriften sind erhalten geblieben. Ich verstehe nicht, weshalb niemand erkannt hat, daß sie anachronistisch sind. Sieht man denn nicht, daß er die Bewohner des Olymps nicht ernst nahm, die sich gegenseitig befehdeten und sich genauso verhielten wie seine Kollegen im Institut? Die »Ilias« und die »Odyssee« sind Erzählungen mit einem Schlüssel; was den Choleriker Zeus betrifft, so ist das ein Pasquill auf mich.
Goodlay hatte ich nicht gleich abgesetzt, denn Rosenbeißer war für ihn eingetreten: Wenn dieser Mann enttäuscht, sagte er zu mir, dann könne ich ihn, den Direktor des wissenschaftlichen Projekts, sogar ins Archäozoikum verbannen. Goodlay hatte angeblich verborgene Produktionsreserven, und da ich mich der Konzeption der Ausnutzung von Affenresten widersetzte, nahm er die LUMP in Angriff (Lokale Unterwasser-Menschenporung). Ich glaubte an diese LUMP nicht, betrieb aber keine Opposition, denn es wurde schon davon geredet, daß ich alle Projekte zu Fall brächte. Die nächste Flugkontrolle ergab, daß er ein paar kleine Säugetiere ins Meer gezwungen, sie den Fischen angeglichen, ihnen ein Stirnradar eingebaut hatte und sich gerade in der Etappe der Delphine befand. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß zwei vernünftige Gattungen für das Eintreten einer Harmonie erforderlich seien: eine auf dem Lande und eine im Wasser. Was für eine Idiotie! Das hätte doch zu Konflikten führen müssen! Ich sagte ihm: »Es wird kein vernünftiges Wesen im Wasser geben!« Der Delphin blieb also nun, wie er war, mit diesem Hirn auf Zuwachs, und wir gerieten in eine Krise.
Was sollten wir tun? Die Evolution noch einmal
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