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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Handlungen mit der übernatürlichen Tarnkappe zu gewähren. Andererseits hatte das, was Donnai und Yobb vollbrachten, manche historischen Weiterungen.
      Aber so ist das immer. Jede telechronische Einmischung hat eine Lawine von Erscheinungen zur Folge, die man ohne Anwendung entsprechender Mittel nicht unterdrücken kann. A. Donnai verhielt sich in der Verbannung höchst unschicklich, denn er nutzte die Fama, die er in seiner Stellung als Geschichtstäter erlangt hatte. Zwar konnte er keine »Wunder« mehr vollbringen, aber die Erinnerung an ihn blieb erhalten. Was H. Yobb betrifft, so erzählte man auch, ich hätte Historanger auf ihn gehetzt, aber das ist Verleumdung. Ich kenne die Einzelheiten der Angelegenheit nicht, weil ich mich nicht mit solchen Detailfragen befassen konnte – jedenfalls soll er sich mit A. Donnai entzweit haben, und der setzte ihm dermaßen zu, daß daraus die Hiobslegende entstand. Am schlimmsten erging es den Juden bei diesem Experiment, weil sie an ihre Ausnahmestellung glaubten. Als nun das Projekt abgebrochen wurde, erfuhren sie so manche Bitternis, sowohl in ihrer Heimat als auch in der Diaspora. Was meine Widersacher im Projekt zu diesem Thema über mich verbreiteten, davon will ich gar nicht reden.
      Im übrigen trat das Projekt nun in die Phase seiner schwersten Krise. Mich trifft daran insofern eine Schuld, als ich Totteles und Latton nachgegeben und ihnen gestattet hatte, die Geschichte in breiter Front zu verbessern, das heißt nicht an isolierten Stellen und einzelnen Zeitpunkten, sondern auf der ganzen zeitlichen Länge. Die Strategie jener Melioration, die als die integrale bezeichnet wurde, führte zur Trübung des Aktionsbildes; um dem vorzubeu gen, brachte ich in jedem Jahrhundert eine Beobachtergruppe unter. Latton wiederum wurde von mir bevollmächtigt, eine geheime Chronizei zu organisieren, die den Vandalismus in der Zeit bekämpfen sollte.
      Dieses wilde Benehmen, an das ich nicht einmal im Traum gedacht hatte, hängt mit der sogenannten Besen-Affäre zusammen. Scharen zügelloser Halbwüchsiger, die sich zum Teil aus unserem Hilfspersonal rekrutierten, Laboranten, Sekretärinnen und so weiter, hatten sie verübt. Eine Unmenge mittelalterlicher Märchen über Pakte mit dem Teufel, über Inkuben und Sukkuben, über Sabbate, Hexenprozesse und über die Versuchung Heiliger rührten von der »wilden« Chronomotion her, die von Jugendlichen ohne moralischen Halt betrieben wurde. Ein individuelles Chronozykel besteht aus einem Rohr mit Sattel und einem Auspufftrichter, daher kann man es, zumal bei ungenügender Beleuchtung, durchaus für einen Besen halten. Schamlose Weibsbilder unternahmen Fahrten, am liebsten nachts, um die Dorfbewohner des frühen Mittelalters zu schrecken. Nicht genug, daß sie ihnen im Tiefflug über die Köpfe sausten, sie wagten es, in das 13. oder 12. Jahrhundert mit einer drastisch enthüllenden Kleidung (topless) zu reisen – was Wunder also, daß man sie mangels besserer Bezeichnungen für nackte Hexen hielt, die rittlings auf Besen daherflitzten. Durch einen merkwürdigen Zufall half mir H. Bosch bei der Untersuchung und Aufdeckung der Schuldigen, als er bereits in der Verbannung war; er verlor beim Anblick des ersten besten Zeitfahrers nämlich nicht die Geistesgegenwart und porträtierte in seinem »Höllenzyklus« keine Teufel, sondern Dutzende illegaler Chronozyklisten mit ihren Gefährtinnen, was ihm um so leichter fiel, als er viele von ihnen persönlich kannte.
      Ich erwog, zu wie vielen Opfern diese Ausschweifungen der wilden Chronofahrer geführt hatten, und schickte die Schuldigen siebenhundert Jahre zurück (»die Kontestatoren des 20. Jahrhunderts«). Unterdessen erklärte mir N. Betterpart, der oberste Chef der MOIRA, er sei nicht mehr Herr der Lage und verlange deshalb Unterstützung in Form von Havarieeinsatzbrigaden der Zeitsprin ger, weil die Front der Arbeiten sich auf über vierzig Jahrhunderte ausgedehnt habe. Wir engagierten also eine Menge neuer Mitarbeiter, die auf der Stelle dorthin geschickt wurden, von wo die Alarmzeichen kamen, obwohl es sich nicht um voll ausgebildete Leute handelte. Ihre Konzentration in mehreren Jahrhunderten führte zu ernsten Zwischenfällen, beispielsweise zur Völkerwanderung; und obschon wir versuchten, das Erscheinen dieser Landetrupps zu tarnen, verbreiteten sich im 20. Jahrhundert (etwa um die Mitte) Gerüchte über »fliegende Untertassen«, zumal die damals bereits gut

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