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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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entwickelte Technik der Massenmedien eine Zirkulation solcher Gerüchte begünstigte.
      Das war jedoch noch gar nichts im Vergleich zu einer neuen Affäre, als deren Urheber und Hauptfigur sich der Chef der MOIRA erwies. Ich erhielt Meldungen, daß seine Leute nicht so sehr die Fortschritte der Melioration beobachteten, als sich vielmehr aktiv in den historischen Prozeß einschalteten, und das nicht im Sinne Lattons und Totteles’, sondern in Anlehnung an eine eigene temporale Politik, wie Betterpart sie ungehindert betrieb. Bevor ich ihn seines Postens entheben konnte, verflüchtigte er sich, das heißt, er floh ins 18. Jahrhundert, weil er dort auf seine Chronizisten zählen konnte, und ehe ich mich’s versah, war er schon Kaiser von Frankreich. Dieser widerliche Frevel schrie geradezu nach einer strengen Bestrafung; Latton riet mir, eine Reservebrigade nach Versailles zu werfen, aber das waren unakzeptable Ideen, denn eine solche Invasion hätte eine unerhörte Störung in der ganzen späteren Geschichte hervorgerufen – der Menschheit wäre bewußt geworden, daß sie unter Kuratel stand. Totteles, der vernünftiger war, arbeitete Pläne für eine »natürliche«, das heißt kryptochronische Bestrafung Napoleons aus; die Einfädlung einer antibonapartistischen Koalition begann, Feldzüge fanden statt, doch was nutzte das, wenn der ehemalige Chef der MOIRA sogleich Lunte roch und, ohne zu warten, selbst zum Angriff überging, Nicht umsonst war er ein Berufsstratege, die Theorie hatte er im kleinen Finger, also schlug er der Reihe nach alle Feinde, die Totteles ihm auf den Hals schickte; es schien, als würde man ihn in Rußland in die Klemme nehmen können, aber auch von dieser Expedition erholte er sich einigermaßen, indes halb Europa in Trümmern und in Asche lag. Erst als ich meine Herren Geschichtstäter beiseite drängte, vermochte ich mit Napoleon bei Waterloo fertig zu werden. Viel Ursache, mich dessen zu rühmen, hatte ich indes nicht!
      Napoleon war von der Insel Elba geflohen, weil ich keine ordentlichere Verbannung überwachen konnte, denn ich hatte viele andere dringende Probleme zu lösen. Diejenigen, die sich Ausschreitungen zuschulden kommen ließen, blieben nun nicht mehr passiv auf ihren Stühlen sitzen, sondern flüchteten selbst in die tiefe Vergangenheit, wobei sie die Mittel mitnahmen, die es ihnen leicht machten, sich mit Ruhm zu bedecken oder einen Glorienschein nie gekannten Ausmaßes zu erlangen (daher die Alchimisten, Cagliostro, Simon Magus und Dutzende andere). Mir kamen Informationen zu Ohren, die ich überhaupt nicht überprüfen konnte: Atlantis zum Beispiel sei gar nicht durch einen Querschläger der Operation GENESIS versunken, sondern Dr. Boloney habe das mit Vorbedacht getan, damit ich nicht dahinterkam, was er dort angestellt hatte. Mit einem Wort, alles, womit ich zu tun hatte, brach zusammen. Ich verlor den Glauben an den Erfolg, und schlimmer noch, ich wurde mißtrauisch. Ich wußte nicht mehr, was eine Folge der Optimalisierung war, das Ergebnis ihrer Einstellung, ein Unterschleif oder eine Willkür der säkularen Chronizisten.
      Ich beschloß, vom anderen Ende an die Dinge heranzugehen. Ich begann die Große Allgemeine Geschichte in zwölf Bänden zu studieren, und wo mir nur etwas verdächtig erschien, dorthin schickte ich eine Flugkontrolle. So war es zum Beispiel mit Kardinal Richelieu; nachdem ich mich in der MOIRA erkundigt und mich vergewissert hatte, daß er nicht unser Agent sei, befahl ich Latton, einen intelligenten Kontrolleur dorthin zu senden. Er vertraute diese Mission einem gewissen Reichplatz an. Etwas machte mich stutzig – ich sah ins Wörterbuch und erstarrte, als ich mich davon überzeugte, daß Richelieu und Reichplatz dasselbe bedeuteten, aber es war schon zu spät, denn er war bereits in höhere ge sellschaftliche Sphären vorgedrungen und wurde die graue Eminenz Ludwigs XIII. Ich ließ ihn ungeschoren, denn ich wußte bereits aus den napoleonischen Kriegen, wonach solche Versuche rochen.
      Inzwischen reifte ein anderes Problem heran. In den einzelnen Jahrhunderten wimmelte es von Verbannten; die Chronizei konnte sie nicht alle im Auge behalten, wenn sie Gerüchte oder Aberglauben verbreiteten, um mir zuwiderzuhandeln, oder wenn sie versuchten, die Kontrolleure unverblümt zu kaufen. So begann ich damit, alle, die etwas auf dem Kerbholz hatten, an einen Ort und in eine Zeit, nämlich in die griechische Antike zu deportieren, und der

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