Sterntagebücher
die größten Pläne. In die Zukunft konnte ich niemanden verbannen, weil sie sich in acht nahmen, und da jeder der Verurteilten an die Azurküste wollte, gab ich nach. Eine Vielzahl von Personen mit höherer Bildung konzentrierte sich also rings um das Mittelmeer, und daher nahmen eben dort der Aufstieg der Zivilisation und später auch die Kultur des Westens ihren Anfang.
Was Spinoza betrifft, so muß ich durchaus einräumen, daß er ein grundanständiger Mensch war, aber er hat es zu den Kreuzzügen kommen lassen, das heißt, er selbst hat sie natürlich nicht ausgelöst. Mit Spinoza besetzte ich den freien Posten Lattons; er hatte einen lauteren Charakter, war aber zerstreut wie kaum einer; er unterschrieb, ohne hinzuschauen, was man ihm hinhielt, er gab Löwenherz eine unbeschränkte Vollmacht – jemand hatte dort im
13. Jahrhundert etwas ausgefressen –, und als die Suche begann, warf Löwenherz einen Chronobus mit Geheimpolizisten nach dem anderen dorthin, so daß der Gesuchte, ich weiß nicht mehr, wer es war, die Kreuzzüge auslöste, um sich in dem Durcheinander zu verstecken. Ich wußte nicht, was ich mit Spinoza machen sollte, das alte Griechenland strotzte nur so von Denkern, die ihm ähnlich waren, so schickte ich ihn zunächst kreuz und quer durch alle Jahrhunderte, damit er so in der Skala von vierzig Jahrhunderten pendelte, und daraus entstand die Legende vom »Ewigen Juden«. Nach jeder seiner Wanderungen durch unsere Zeit klagte er jedoch über die Mühen, so daß ich ihn schließlich nach Amsterdam lenkte, weil er das Basteln so liebte, und dort konnte er Diamanten schleifen.
Man hat mich manchmal gefragt, warum denn keiner der Verbannten bekannte, woher er kam. Nun, das wäre ihm übel bekommen. Jeder, der die Wahrheit gesagt hätte, wäre ins Irrenhaus gewandert. Hätte man vor dem 20. Jahrhundert einen Menschen etwa nicht für verrückt erklärt, der erzählte, man könne aus gewöhnlichem Wasser eine Bombe machen, die imstande sei, den ganzen Globus in Stücke zu reißen? Und vor dem 23. Jahrhundert kannte man keine Chronomotion. Außerdem hätten solche Bekenntnisse das Plagiat von Arbeiten vieler Verbannter entblößt. Es war ihnen verboten, die Zukunft vorauszusagen, aber sie plapperten dennoch manches aus. Im Mittelalter beachtete man das zum Glück nicht (ich denke da an die Hinweise über die Düsenjäger und die Tiefseetauchboote bei Bacon und an jene über die Computer in Lulls ARS MAGNA); schlimmer war es jedoch mit denjenigen, die unvorsichtigerweise ins 20. Jahrhundert verbannt worden waren – sie nannten sich »Futurologen« und begannen Dienstgeheimnisse zu verraten.
Zum Glück wandte A. Tylla, der neue Chef der MOIRA nach Napoleon, die sogenannte Taktik des Babelsystems an: Sechzehn Zeitingenieure, die zur Strafe nach Kleinasien verbannt worden waren, entschlossen sich, einen »Zeitzug« für die Flucht vorzubereiten, indem sie vorgaben, einen Turm errichten zu wollen; seine Bezeichnung war die kryptonyme Losung der Verschwörer (Bauunternehmen zur Beförderung der im Exil Lebenden). MOIRA, die diese Arbeiten schon in ziemlich vorgerücktem Stadium vorfand, schickte ihre eigenen Spezialisten als »neue Verbannte« aus, die in den Konstruktionsplan absichtlich solche Fehler einführten, daß das Werk beim ersten Probeversuch auseinanderbarst. Tylla wiederholte dieses Manöver der »Sprachenverwirrung«, indem er Diversionsgruppen ins 20. Jahrhundert warf; sie diskreditierten die Weissagerkandidaten, indem sie verschiedene Flunkereien – die sogenannte Science Fiction – verbreiteten und einen unserer Ge heimräte, einen gewissen McLuhan, in die Reihen der Futurologen einschleusten.
Zwar faßte ich mich an den Kopf, als ich die von MOIRA fabrizierten Faseleien las, die McLuhan als »Prognosen« verbreiten sollte, denn mir erschien es unmöglich, daß jemand, der sein Hirn am rechten Fleck hatte, auch nur eine Sekunde lang das dumme Zeug von einem »globalen Dorf«, zu dem die Welt angeblich tendiere, ernst nehmen konnte, und auch den anderen Unsinn, der da aufgetischt wurde. Doch es erwies sich, daß McLuhan erheblich mehr Furore machte als all die Leute, die die reine Wahrheit verrieten; er erlangte einen solchen Ruf, daß er schließlich, wie es scheint, selbst an die Absurditäten zu glauben begann, die wir ihn verbreiten hießen. Wir ließen ihn übrigens in Ruhe, denn das schadete uns nicht. Was Swift und seine Schrift »Gullivers Reisen« betrifft,
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