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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Wie weiter, was wollte sie überhaupt? Sie wußte es selber nicht.
    »Es hat ein Unglück gegeben, damals.« Die Frau nahm ihre Kanne wieder auf. »Der Mann ist gestorben, da ist sie wieder weg. Sie hat immer nur Guten Tag gesagt, das war alles.«
    »War sie mit jemandem hier befreundet? Könnte es sein, daß sie noch Besuche macht, hier im Dorf?«
    Fassungslos sah die Frau sie an. »Wen soll die denn hier besuchen, die hat sich hier um nichts und niemanden gekümmert. Wissen Sie, wie lange das her ist?«
    Ewig her, ja, und dazwischen lag eine Hölle, die sie alle verschlang, Katja, Robin und Dorian. Das Licht, das der parkplatzsuchende Wagen aufs Pflaster warf, verschwamm wie etwas, das man verzweifelt festhalten wollte und das einem dennoch entglitt. Nicoles Fenster, Nicoles Küche, Nicoles Straße da unten. Nicoles Zeit, die sie stahl. Ina preßte die Fingerspitzen gegen die Fensterscheibe und versuchte es mit einer kleinen Beschwörung: Wenn jetzt noch ein Wagen kommt, liegt morgen keiner da unten in der Erde.
    Sie blinzelte, schloß die Augen und öffnete sie wieder. Kein Wagen. Kein Licht.
    Nicoles Stimme kam aus einem anderen Land: »Kann es nicht auch anders sein? Vielleicht hat Dorian da ein Meerschweinchen liegen oder einen Hund. Ich hab früher auch alle naslang Meerschweinchen begraben, die halten ja nicht lange.«
    Ina schüttelte den Kopf. »Hast du auch Kreuze draufgemalt? Hast du dich überhaupt so benommen?«
    »Ich sag doch, der muß irgendwelche Halluzinationen haben.«
    »Ich muß es wissen, Nicki. Ich muß.«
    »Manchmal hat er von ihr geredet«, sagte Nicole. »Es war ihm unheimlich wichtig, daß sie ein Star war, keine Ahnung, ich hab sie nicht gekannt. Verglichen mit ihr, so kam es rüber, sind wir Nullen.«
    »Ja.«
    »Durchschnittsweiber.« Nicole seufzte.
    »Ja.«
    »Aha. Sehr schön war sie natürlich auch noch.«
    »Ja«, sagte Ina. Nach einer Weile drehte sie sich um und sah Nicoles forschenden Blick. »Sie war anders als wir. Was sind wir denn schon?« Sie öffnete den zweiten Fensterflügel, doch schien alle Luft für diesen Tag verbraucht. »Nicki, wenn du es einrichten kannst – könntest du dabeisein? Das kriegst du doch hin, oder? Ich glaub einfach, ich pack das nicht.«
    »Mmh«, sagte Nicole. »Einen Lei … also, einen Hund brauchen wir auch.«
    »Ich weiß.« Sie sah wieder nach unten. Noch immer kein Wagen, kein Licht. Als sie mit Tom aus dem Dorf zurückgekommen war, hatte sie das Sternenbild so klar vor Augen, daß sie die kleinen Jungs sehen konnte und die Frau im roten Kleid, die ihnen die Sterne fing. Sie wußte nicht, wie sehr Tom sich wirklich ein Kind wünschte und traute sich auch nicht, ihn direkt danach zu fragen. Babys werden groß, Tommy, sag nicht immer Baby. Die bleiben auch nicht süß. Manchmal wachsen sie zu Monstern heran und fressen dich auf.

[ 15 ]
    Als Dorian am Morgen seine Wohnung verließ, guckte er den Frauen auf die Füße. In schmalen, offenen Schuhen tänzelten sie dahin oder schienen in hochgeschnürten Tretern für die Bergwanderung zu trainieren, so beschwerlich war ihr Schritt. Nur die hochhackigen Nuttenschuhe sah er nicht, aus denen schwarze Netzstrümpfe wuchsen und die auf dem Boden zu detonieren schienen mit ihrem harten, hellen Geräusch. Er wollte sie auch nicht sehen und hielt dennoch den Blick aufs Pflaster gerichtet wie ein schnüffelnder Hund. Es war etwas mit seinem Kopf passiert, er dachte an Dinge, an die er nicht denken wollte.
    Was machst du, Robbi, stellst du das mit mir an?
    Er glaubte, er würde sich besser fühlen, nachdem er die halbe Nacht damit verbracht hatte, den Taubenschlag neu einzurichten, zumindest auf dem Papier. Er zeichnete eine Skizze und schrieb hin, wo der Tresen stehen sollte und die Tische und die Stühle, doch es war sonderbar, wie lange er für ein paar hingeschriebene Worte brauchte, weil er seine eigene Schrift nicht mehr erkannte. Sechs, sieben, acht Versuche, und jedesmal standen diese komischen Buchstaben auf dem Blatt, die ihm fremd waren, fremd wie sein Wohnzimmertisch, an dem er schrieb, fremd wie seine Wohnung und die Welt.
    Keine Ahnung, Robbi, ob das richtig ist, diesen Laden einmal zu übernehmen. Lach nicht, hör auf zu treten. Morgens kann ich nicht mehr gerade gehen, willst du das? Willst du, daß es so ist wie vor Jahren, wie damals nach der Riederwaldnacht? Da konnten wir auch nicht mehr gerade gehen. Du Scheißkerl. Frißt mich auf von innen, bist meine Krankheit, mein Tod, aber

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