Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
Vom Netzwerk:
seinen Kopf wie tückische Wespen, sein eigener Schrei unter der Peitsche und Robins Wimmern, das Surren der Kamera und das Lachen der Männer. Ein Rudel Töne in seinen Ohren, das sich abrufen ließ wie ein Programm auf einer Festplatte; du klickst einfach ins Hirn, Robbi, und es schreit in dir drin. War das genauso bei dir?
    Nur die Stimme der Frau konnte er nicht richtig hören, weil sie in seinem Kopf verschwamm und nicht mehr hart und gewöhnlich mit diesen Männern sprach, sondern zart und weich mit ihm selbst. Dann erzählte sie ihm von Sterntauchern und Schwalben und von bunten Raben, die es in Afrika gab, wirklich, Dori, in Afrika gibt’s bunte Raben. Das war unangenehm, weil es nicht zusammenpaßte, weil es überhaupt keinen Sinn ergab. Irgendwo da drüben war das Haus, doch er schaffte es nicht näher heran.
    Weißt du was, ich war ein Feigling. Ich wollte sie töten, aber am Tag waren sie sicher nicht da, kamen nur nachts, krochen wie Ratten zum Licht.
    Auf dem Rückweg löste er die Luftpumpe vom Rad, seinen Knüppel, mit dem er Zweige wegschlug, die ihm das Gesicht zerfetzen wollten, kommt doch her, ich schlag euch alle tot. Noch auf der Straße hielt er sie in der Hand; er schlug auf den Lenker, richtete sich auf und sah die verlorenen grauen Mietshäuser, die U-Bahnstation und die Frau.
    Oberirdisch, Robbi, das war das Wort, das du früher nie auf die Reihe kriegtest. In dieser gottverlassenen Gegend fuhr die U-Bahn oberirdisch, doch du hast das jahrelang verwechselt und überirdisch gesagt, als käme sie aus dem Himmel, bevor sie runter in die Hölle fuhr. Am Riederwald fährt die U-Bahn oberirdisch, hörst du? Aber jetzt brauchst du das auch nicht mehr zu wissen.
    Er war nicht überrascht, die Frau zu sehen, und hatte einen Moment lang sogar das Gefühl, er hätte sie gesucht. Auf der Bank des Wartehäuschens lag eine Sporttasche, sie selber stand davor und schien kleiner geworden ohne ihre Nuttenschuhe, die sie wohl nur am Abend brauchte. Abends, ja, wenn die Ratten sich unterm Licht versammelten, lebte sie auf. Jetzt trug sie Stiefel unter Jeans, doch war das Haar genauso wie in der Riederwaldnacht, hochgesteckt, mit feinen Strähnen, die sich lösten. Da stand sie ganz allein und von ihren Komplizen verlassen, die Frau der Folterer, die Schlampe aus dem Schuppen. Ganz allein. Er trat in die Pedale und bremste erst ab, als das Vorderrad sie fast berührte. Als sie den Kopf hob, schlug er erneut mit seinem Schlagstock auf den Lenker.
    Mann, sie erschrak. Sie zuckte zurück und suchte Halt, sie schien sogar Luft zu holen für einen Schrei. Während sie ihn anstarrte wie eine Schiffbrüchige, die nach Jahren einen Menschen sieht, formten ihre Lippen ein Wort, das er als seinen Namen erkannte. Warum tat sie das? Sie sprach ihn an, sie flüsterte: »Dorian.«
    »Was?« rief er. Er stützte sich auf den Lenker und sah ihr ins Gesicht. Merkwürdige Augen. Hatten sie ihn vor langer Zeit schon einmal angesehen, nicht nur in der Riederwaldnacht, als er vor ihr auf dem Boden lag? Nein, woher denn, nur seine Mutter hatte ihn so angesehen, mit solchen Augen. Doch Katja war schön gewesen, schön und stark, und die hier war es nicht, das war die Hure aus dem Hexenhaus mit ihrer fahlen Haut – wie hatte Robbi sich so täuschen können? Katja hätte sie zurückgeholt, die hätte niemals bei Schlägern gestanden, um ihre Wunden zu begaffen. Katja war vielleicht tot.
    Sie wiederholte seinen Namen, lautlos wie vorhin, flüsterte ihn dem rauschenden Verkehr hinterher und dem heiseren Gekläff von Hunden. Er mochte das nicht. Robin war schuld, daß sie seinen Namen kannte, weil er »Dorian, Dorian« schrie, als der Hosenträger-Mann ihm auf die Nase trat. In dieser Nacht, als sie auf Dorian herunterglotzte wie auf einen Wurm, da hatte Robin seinen Namen gebrüllt, er war doch erst zwölf. Die U-Bahn kam, doch sie achtete nicht darauf, stand steif und blöd wie eine Schwachsinnige herum, entsprungen, entflohen, die Tasche mit dem Nötigsten dabei, um im Bahnhof zu pennen oder warm auf den Lüftungsschlitzen in den Eingängen der Kaufhäuser. Mit der Luftpumpe schlug er auf ihre Tasche und fragte: »Was ist da drin?«
    Verstand sie ihn nicht? Sie guckte auf den Boden und dann zu ihm zurück.
    »In der Tasche«, rief er.
    »Sachen«, sagte sie leise. »Meine –« Sie hob die Schultern, als müsse sie sich entschuldigen oder als sei ihr schrecklich kalt mit einem Mal.
    »Wohnen Sie da?« fragte er. »In dem Schuppen?

Weitere Kostenlose Bücher