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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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böse Menschen. Sie freuten sich einfach über zwei Leute in Uniform, und weil er noch nie so viele glückliche Gesichter gesehen hatte, wollte er sie alle beschützen. Geht weiter weg, rief er ihnen zu, macht schon, ihr müßt noch weiter weg vom Haus, und er wußte keine Antwort, als Nicole ihn leise fragte: Warum duzt du sie?
    Waren alle Menschen glücklich, in deren Hirnen nichts krabbelte? Fliegen waren es, Fliegen in seinem Kopf, und sie kamen von überall her, giftsprühende Fliegen, die ihm Gedanken brachten, die er nicht denken, und Bilder, die er nicht sehen wollte. Seit Robin tot war, ging das so, seit Robin tot war und Dorian sein Grab.
    Im Wagen rührte sich nichts. Robbi, kannst du dich erinnern, wie wir als Kinder auf protzige Kutschen kleine Abziehbildchen klebten? Blümchen und Herzen und kleine Teufel sind es gewesen, die in Kaugummis drin waren und im Bonbonpapier. Katja hat so getan, als gucke sie nicht hin, aber einmal hat sie mir ins Ohr geflüstert, da vorn, da ist ein BMW, siehst du? Tausend Geschichten im Kopf, tausend Erinnerungen, wir haben doch immerzu gelacht, weißt du es denn nicht? Du, ich hab ein Video im Kopf, seit du ein Zombie bist, hast du das mitgebracht? Es spielt von selber, da muß ich noch nicht einmal die Fernbedienung drücken, das läuft einfach los. Diese Geschichte von dem Mann im BMW und der Frau am Straßenrand – damals warst du zu klein, glaub ich, daran kannst du dich nicht erinnern. Der Mann stieg aus, verprügelte die Frau und fuhr wieder weg. Ganz verrenkt lag sie dann da, weinte und schrie und kam nicht mehr hoch. Wir sind auf der anderen Straßenseite gelaufen, Katja hielt uns an den Händen und rief: »Diese Drecksau!« Dann ließ sie meine Hand los, um hinter dem Wagen herzupfeifen, und als sie neben der verletzten Frau niederkniete, schrie sie: »BMW-Fahrer! Alles Arschlöcher.«
    Als er sie noch nicht so gehaßt hatte, wollte Robin immer pfeifen können wie Katja, doch das kriegte er nicht hin. Sein Pfeifen war bloß ein Pusten gewesen, pfhhh.
    Dorian öffnete das Fenster. Keine Menschen da unten, nur Geister, nichts als leere Hüllen, die sich gegen den aufkommenden Wind stemmten, als wären sie stärker als die Natur. Immer wenn er hinsah, veränderten die Menschen ihre Gesichter, immer dann. Möglich, daß da eine Verschwörung im Gange war und die Menschen sich häuten wollten vor seinen Augen wie Schlangen. Sie wollten ihm Angst machen, hatten sich abgesprochen, denn auch diese beiden, die jetzt vor dem dunklen Wagen standen, hatten diese verzerrten Fratzen, waren wie Zauberer, die ihn frieren ließen, Schamanen, die ihre dunklen, schattigen Gesichter zu seinem Fenster hoben und mit einer Handbewegung dafür sorgten, daß der Wagen endlich verschwand. Erst als sie oben waren, erkannte er sie, als sie vor seiner Tür standen wie Missionare, die ihm etwas andrehen wollten, Glauben Sie an Gott, kennen Sie die Bibel? Bald kommt der Weltuntergang. Über Gott wollten sie nie sprechen, diese Missionare, nur über den Teufel und die Hölle und über das Feuer der anderen Welt.
    »Hallo Dorian.« Die Kommissarin Henkel sah ihn nicht länger wie einen Bekannten an, mit dem sie schwatzen wollte. Sie sah ihn überhaupt nicht richtig an, doch grüßte sie ihn wenigstens, während Kissel schwieg. Als wären sie hier zu Hause, gingen sie an ihm vorbei und setzten sich auf sein Sofa. Kissel lehnte sich nach vorn und stützte die Ellbogen auf die Knie, die Henkel saß mit übereinandergeschlagenen Beinen daneben wie seine brave Frau.
    »Warum werde ich überwacht?« fragte Dorian. »Seid ihr wirklich zu blöd, es so einzurichten, daß man es nicht merkt?«
    Sie antworteten nicht, weshalb er erneut fragte: »Warum?«
    »Warum haben Sie eine Leiche vergraben?« Kissel sah ihn mit dem erwartungsvollen Gesicht eines Mannes an, der sich soeben erkundigte, ob Bayern München verloren habe.
    Sie wußten es. Dorian spürte, wie sich etwas drehte in seinem Kopf; Robbi, hast du das gehört? Er schwankte und seine Stimme schwankte mit, als er flüsterte: »Ich hab ihn nicht vergraben. Er ist von selbst gekommen.«
    »Pardon?« fragte Kissel. Er kaute Kaugummi, vielleicht wollte er nicht rauchen. Hatte er ihn jemals mit Zigarette gesehen? War das jetzt wichtig, mußte er sich darüber Gedanken machen?
    Er preßte eine Hand auf die Stirn. »Ich hab doch kein Skalpell, ich kann doch nicht, kann mich doch nicht – das hieße ja, ich hätte mich aufschneiden müssen, um ihn zu

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