Sterntaucher
war. Sie war nicht schön. Sie war nicht stark. Kein Hahn krähte nach ihr.
»Hey«, flüsterte sie, »du wirst so ein richtiger« – ihr Lächeln blendete ihn – » Bulle? «
»Ja, genau.« Abrupt drehte er sich weg von ihr. »Es wird zu wenig gegen das Gesindel getan, es wird einen Kampf geben, einen letzten Kampf am Ende, und dann wird sich zeigen, wo wir stehen.«
»Wer gehört zum Gesindel?« fragte sie schlicht.
»Sie.« Er wandte sich ihr wieder zu und hatte Lust, sie zu schlagen. »Sie doch auch, hab ich recht? Denken Sie an Ihre Komplizen oder denken Sie an die Bar. Das ist alles so erbärmlich, man müßte Sie filmen, wie Sie da trällern, das ist zum Kotzen. Sie müßten sich das angucken hinterher, dann würden Sie sich das nie wieder trauen. Wissen Sie was, meine Mutter ist auch Sängerin, ich verstehe was davon, ich hab sie auf der Bühne gesehen, da war was los, da sind die Leute nach vorne gerannt, und die Füße haben getrampelt und so.« Er hatte sehr schnell gesprochen, war atemlos jetzt, und seine Zunge war nur noch ein trockener, fremder Lappen in seinem Mund. Gierig griff er nach dem Plastikbecher voll lauwarmem Bier und sah über den Rand hinweg, daß ihre Augen jetzt wieder leer und leblos waren und ihr Leuchten im Dunst verschwand.
Schwach war sie und sehr bleich. Sie lehnte sich gegen die verschmierte Bretterwand, die voll von riesigen Schwänzen und durchstoßenen Herzen war. Sie schien zu frieren in ihrem fadenscheinigen Fummel, und die klamme Kälte machte sie stumm. Die Kälte trieb ihr auch die Tränen in die Augen, das konnte er noch sehen, bevor sie den Kopf wegdrehte und ihre Schultern vor Kälte kurz zuckten. Sie sagte nichts mehr, erst als sie gingen und er sich überlegte, ob er sich so weit herablassen sollte, ihr die Hand zu geben, hörte er sie leise sagen: »Sie war nicht besonders gut, Dorian. Singen konnte sie noch nie. Und sie hat dich wahnsinnig vermißt, all die beschissenen Jahre lang.«
»Na schau.« Er schob die Hände in die Jackentasche; arm dran war sie, genau wie damals diese Frau an der Straßenbahnhaltestelle, die ihn zu kennen glaubte, Schorschi, Schorschi brüllte und ihn festhalten wollte. Arm dran. Die hier auch. Er dachte an Robin, dachte verzweifelt an Robin, wie er manchmal krähte: Besser arm dran als Arm ab. »Was quasseln Sie da?« fragte er.
»Nur so«, sagte sie völlig sinnlos, faselte blöd in die Nacht hinein, während im Rinnstein gegenüber ein Besoffener lauthals zu weinen begann.
Nie wieder danach redete sie sinnloses Zeug, sonst hätte er sie sicher nicht mehr getroffen. Manchmal, wenn er Zeit hatte, trank er einen Kaffee mit ihr oder saß neben ihr im Waschsalon, wobei er fast glaubte, ein gutes Werk zu tun, weil sie sich so sehr freute, ihn zu sehen. Dauernd fror sie, nie hatte er erlebt, daß ein Mensch so frieren konnte. Doch wie ein scheues Reh wagte sie sich hin und wieder in seine Nähe, um ihn zu berühren, abwartend, ob er es nicht verscheuchte. Immer war sie es, die etwas von ihm wissen wollte, sie erzählte nie von sich selbst. Neugierig war sie schon, wollte wissen, welche Musik er hörte, welche Mädchen er mochte und was sonst noch in seinem Leben geschah. Sie fragte auch immer wieder nach Robin, mit einer Stimme, aus der ein Flehen wurde, doch konnte er nicht viel sagen, da er das Gefühl hatte, Robin immer weniger zu kennen, mit jeder Stunde, die verging.
An diesem Abend, als Robin wie ein wundes Tier auf der Fensterbank hockte, stellte er sich vor, wie er ihr seinen Bruder beschreiben sollte: verschlossen und böse, immer unterwegs mit obskuren Gestalten, ohne Sex und Liebe lebend, geldgeil, faul, aber sicher nicht dumm. Ob sie damit etwas anfangen könnte, sich vielleicht sogar selbst erkannte?
Robin fragte in die Stille hinein: »Hast du schon mal einem Handschellen angelegt, Bulle?«
Dorian schüttelte den Kopf. »Darf ich noch nicht. Ich bin in der Ausbildung, bin doch erst –«
»Jungbulle«, schlug Robin vor. »Man braucht also besondere Fähigkeiten fürs Handschellenanlegen, willste das sagen?«
»Man muß die Gesetze kennen und muß wissen, wie man es macht.« Dorian hatte keine Lust auf seinen Spott. Doch vielleicht täuschte er sich auch, und Robin wollte wirklich mit ihm reden, denn seine Stimme war matt.
»Haste auch schon gelernt, wie man einen zusammenhaut?«
»Das muß ich nicht lernen, das kann ich auch so.«
»Kannste?« Robin rutschte von der Fensterbank herunter und holte den Koffer
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