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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Heiligenbilder im Im- und Exportladen gegenüber. Eines Abends verließ sie das Hotel in dem Moment, da das Laternenlicht so zaghaft aufzuflammen begann, als hätte es eine große Scheu, diesen ganzen Dreck hier zu beleuchten.
    Sie sah ihn nicht, schien niemanden zu sehen. Ihr Haar war nicht länger hochgesteckt, sondern fiel strähnig auf die Schultern. Auch an ihrer billigen Kleidung konnte man sehen, daß sie nur noch ein jämmerliches Luder war, das auch die Riederwald-Schläger nicht länger in ihrer Mitte duldeten, nicht einmal die. Das war ihre Strafe, und die wollte er sehen.
    Sie ging nicht weit, sie trug eine große Tasche, mit der sie im Seiteneingang einer Bar verschwand. Dorian zögerte und blieb ein paar Minuten draußen stehen; vor einem Jahr hatte so ein Schlägertyp ihn abgewiesen, als er mit einem Mädchen in eine Bar gehen wollte, doch jetzt, mit achtzehn, hatte er das Recht dazu. Wer wollte es wagen, ihn in dieser Drecksgegend hier abzuweisen? Er stieß die Tür auf und rannte fast zum Tresen, hinter dem eine Fregatte stand, die »Oh« sagte, als sie ihn sah.
    »Oh, ein Hauch Sonne.« Ihre Stimme klang gekünstelt, so als parodiere sie eine Barfrau in einem billigen Film.
    Er guckte sich die Flaschen an, was trank man hier? »Ein Bier«, murmelte er. »Ein Pils.«
    »Und den Zuschlag, nicht wahr?« Sie strahlte ihn an.
    »Wofür?«
    »Für das Programm.« Sie schob ihm das Glas hin und sagte: »Ich kassiere gleich.«
    Es war teuer, zwanzig Mark wurde er los. Aber der Laden war es nicht wert, ein dunkler Raum mit Plüschsesseln, in denen ein paar schlechtgekleidete Männer hockten, die in stummer Verbissenheit ihre Gläser leerten. Keiner sprach und niemand lachte, und es gab auch keinen Applaus, als die Riederwald-Frau die Bühne betrat. Tatsächlich, Robbi, die traute sich auf eine Bühne, aber was verstanden sie in diesem Schuppen schon unter Bühne? Er lehnte sich nach vorn, er hatte richtige Bühnen gesehen, blankgeputzte Höhen, auf denen seine Mutter im Scheinwerferlicht stand, diesem rotierenden Feuerball, glühend von all den Menschen da unten. Hier war die Bühne nur eine dunkle Fläche, die sich in den Raum hineinschob wie ein frisch geteerter Abschnitt auf einer ramponierten Straße. Da stand die jetzt und war Programm. Sie trug etwas Schwarzes, während der dicke Mann, der hinter ihr auf einer altertümlichen Heimorgel zu spielen begann, sich in ein weißes Jackett gearbeitet hatte, das zwei Nummern zu klein für ihn war. Sie waren ein lustiges Duo, Robbi, du hättest gebrüllt. Der kleine Dicke klimperte etwas, was Jazz sein sollte, und diese Frau versuchte zu singen. Aber sie konnte es nicht, weißt du? Stell dir eine Pennerin vor, die im U-Bahnhof As Time Goes By singt, um ein paar Münzen einzustreichen, die mitleidige Passanten ihr vor die Füße werfen, stell dir das vor, dann hast du sie. Sie war jämmerlich und ohne Kraft.
    Sie war ein Baum, gegen den ein Rudel Hunde pißte. Sie schnüffelten, die Hunde, die Männer im Raum, und betatschten sie mit ihren Pfoten, doch tat sie so, als merke sie es nicht oder als sei das ganz normal. Sang sie eigentlich? Nein, sie probierte Töne, stand steif wie ein Kind, das sich verlaufen hat und nun wartet, bis einer kommt, der es an der Hand nimmt und fortbringt von hier. Sie hatte Hänger, da krallte ihr Blick sich an den nikotinzerfressenen Wänden fest, wo keine Worte standen, doch hob sie manchmal eine Hand, als wollte sie sich an etwas erinnern, das ihr im selben Moment schon wieder entglitt. So war das, Robbi, ich hab sie gesehen. Mit jedem Lied wurde sie leiser und sang bald nur für sich allein, weil sie wohl wußte, daß sie dem Publikum nicht gefiel. Es gab ja auch kaum Beifall, als der Spuk zu Ende war, es gab nur Pfiffe und Gelächter. »Schleich dich«, schrie einer, »geh sterben.«
    Dorian stellte sein Glas ab. Es war widerlich, das alles zu sehen, man stand am Abgrund und guckte in ein Loch voller Ratten, man sah nur Schwäche und Verfall. Er fror. Steif saß er auf seinem Hocker, bis die Barfrau kam und sich so weit über den Tresen beugte, daß er seine Nase zwischen ihre Brüste hätte drücken können.
    »Zwanzig Mark«, sagte er laut, »sind zu teuer dafür.«
    »Ach Sonnenschein«, sagte sie, »das ist ganz ein moderater Preis.«
    »So eine gehört in die Bahnhofsmission.« Sein Herz raste, und er wollte schreien. Der ganzen Welt wollte er erzählen, daß es etwas anderes gab als Fäulnis und Niedergang. Daß es Größe

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