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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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gab und Ruhm, wollte er sagen, und Schönheit, daß es Liebe gab und Wärme und eine leise, zärtliche Stimme in seinem Ohr. »Meine Mutter ist auch Sängerin«, stieß er atemlos hervor, »aber eine richtige. Nicht so abgewirtschaftet wie die.«
    »Jetzt sei net so bös.« Die Barfrau hustete geziert und sah an ihm vorbei. Als wollte sie auf Teufel komm raus das Thema wechseln, fragte sie mit falscher Munterkeit: »Wie alt bist du, Burschi?«
    Weil man ihn immer jünger schätzte, machte er sich gerne älter. Dorian reckte sich und sagte: »Ich bin zwanzig.« Er deutete auf die Fläche, die sie hier Bühne nannten. »Das ist bloß Dreck. Und der Ort für Penner ist die Bahnhofs …«
    »Bist so ein Hübscher«, unterbrach sie ihn, »aber hast keinen Anstand.« Wieder guckte sie angestrengt an ihm vorbei, so lange, bis er den Kopf drehte und sie da stehen sah, die Schlampe. In diesem schwarzen Flohmarkt-Fetzen lehnte sie neben ihm am Tresen, schlaff und verbraucht wie eine, die sich ohne viel Aufhebens betrunken hatte und nun nicht wußte, wie sie wieder gerade Schritte machen sollte. Sie sah ihm in die Augen, was er nicht wollte, denn es tat weh, und er begriff nicht, warum. Rennen wollte er, als sie sich plötzlich zu ihm herunterbeugte, um sein Gesicht in beide Hände zu nehmen, in kalte, rauhe Hände, die er auf seinen Wangen spürte wie tiefgekühltes Sandpapier. Wieder flüsterte sie seinen Namen, wie damals schon, an der U-Bahnstation in der Nähe des Folterhauses, und wie damals sah sie ihn an, als müsse sie sein Gesicht im Gedächtnis behalten, für den Moment und für alle Zeit. So ein Grau war in ihren Augen, ein vernebeltes Grau vor seinem Gesicht.
    »Lassen Sie mich in Ruhe.« Er fing an zu fuchteln und stieß ihr eine Faust in den Magen, vielleicht schrie er auch etwas, an das er sich nicht erinnerte, denn die Barfrau kam wieder angerannt, und ein paar Männer glotzten herüber. Nur sie, die Schlampe, reagierte kaum, als hätte sie seinen Hieb nicht gespürt. Sie lehnte sich ein wenig zurück und sah ihn immer noch regungslos an.
    »Burschi, Burschi«, sagte die Barfrau tadelnd. Mit schiefgelegtem Kopf sah sie die Schlampe an. »Kennt ihr euch?«
    »Ja.« Als wäre sie aus einem Traum erwacht, lächelte sie ein kleines, fast glückliches Lächeln, das nicht zu ihr paßte. »Ja, das ist –« Doch dann schwieg sie plötzlich, und wie sie ihn so ansah, forschend, fragend, als wüßte sie nicht weiter, meinte er, ihr ein wenig helfen zu müssen, damit sie nicht ganz so bescheuert dastand.
    Er setzte sich ganz gerade hin und sagte: »Ich heiße Dorian.«
    »Ei wei«, rief die Barfrau. »Siehst, das hat nicht jeder, ist das englisch?«
    Er nickte und hörte im selben Moment diese Frau neben sich sagen: »Griechisch.«
    »Quatsch«, sagte er, doch da beugte sie sich erneut zu ihm herunter und flüsterte: »Vom Volk der Dorer. Das waren Griechen.«
    »Wenn’s schön macht.« Die Barfrau zögerte, bevor sie sagte: »Wißt ihr was, ihr habt die gleichen Augen.«
    »Ja«, sagte die Schlampe, doch Dorian schüttelte den Kopf. Er hatte nicht so etwas Leeres, Totes in den Augen, und auch sein Bruder hatte das nicht. Auch ihre Mutter sah nicht so aus, Katjas Augen waren leuchtend, daran erinnerte er sich so gut wie an den Lichtstrom, der aus ihren Augen kam, wenn sie lachte. Eine ganze Weile schwiegen sie beide, bis die Frau eine Hand auf seinen Arm legte und fragte: »Warum hast du zwei Jahre draufgepackt?«
    »Was meinen Sie?« Er sah sie kaum an, denn er wollte diese Augen nicht sehen.
    »Du bist achtzehn«, sagte sie. »Und zwei Monate und elf Tage.« Sie versuchte ein Lächeln, das müde war und scheu. »In zehn Jahren wird’s dir nicht mehr einfallen, dich älter zu machen.«
    Er antwortete nicht. Sie trug Informationen zusammen, was bedeutete, sie schnüffelte hinter ihm her. Aber er konnte sich den Grund zusammenreimen, eine Erkenntnis, die ihn einen Moment lang sogar lächeln ließ, denn tat sie das nicht, weil sie seinen Bruder und ihn auserkoren hatte, ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen? Natürlich war es so, und nichts war kompliziert daran, so waren die Menschen nun einmal, die Helden und die Unscheinbaren und die Verwahrlosten auch. Sie waren alle verrückt. Er lächelte noch immer, als er sie im nächsten Moment sagen hörte: »Erzähl mir von euch.« Ihre Stimme war zittrig. »Von Robin und dir.«
    Robbi, du hättest dabeisein sollen. Vielleicht wollte sie wissen, wie lange der Arsch uns damals

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