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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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immer gut bei uns?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Dorian. Seit er seine Ausbildung bei der Polizei begonnen hatte, redete er noch weniger mit ihm, denn noch immer hatte er seine Worte im Ohr: Die nehmen tatsächlich jeden, sogar Versager wie dich.
    »Vielleicht hätte ich euch nicht in den Keller sperren dürfen.« Tillmann nickte vor sich hin. Es war das erste Mal, daß Dorian ihn so sah, demütig, klein und verloren. »Ihr wart aber auch so verdammt wild früher, selbst du. Wir waren ja nun eigentlich gar nicht eingerichtet auf zwei Buben.«
    »Nein«, sagte er.
    »Sie sagt das auch.« Tillmann deutete zum Wohnzimmer, wo seine Frau vor dem Fernseher saß. »Ich hätte euch nicht in den Keller sperren dürfen.«
    »Scheiß drauf«, sagte Dorian. »Ist lange her.«
    Robin hockte auf der Fensterbank wie eine kranke Katze und sagte: »Da kommen Recht und Ordnung.« Schwach und elend sah er aus an diesem Abend, viel älter, als er war. Er hatte die Schule geschmissen, obwohl zwei Lehrer ihn davon abhalten wollten, was er gerne erzählte, wobei seine Stimme hämisch wurde und tuntig: »Für begabt halten die mich, für talentiert, aber ich sag dir, Mann, fürs Begabte kann ich mir nix kaufen.« Merkwürdig war nur, daß Tillmann immer nur Dorian einen Versager nannte, niemals Robin, obwohl Dorian es bis zum Abitur geschafft hatte und Robin schon seine erste Lehrstelle als Automechaniker wegen Faulheit verlor.
    Robin machte überhaupt immer Eindruck auf die Leute, selbst auf die Folterschlampe vom Riederwald, die sich dauernd nach ihm erkundigte. Das mochte daran liegen, daß er so klein und drahtig war und die runde Nickelbrille seinen Augen etwas Hilfloses verlieh, was die Leute vielleicht glauben ließ, sie müßten ihn streicheln. »Wie geht es Robin?« fragte diese Schlampe jedesmal, wenn sie Dorian sah, worauf er keine Antwort gab, weil er es selber nicht so genau wußte.
    Ja, er sah sie dann und wann. Zufall vielleicht. Immer wenn er in der Gegend war, sie lief ihm praktisch über den Weg. Manchmal kam sie aus dem Hotel Sylvia, um ihren Plunder in einen Waschsalon zu bringen, viel war es ja nicht, und dann hockte sie rauchend vor der Trommel und sah zu, wie sie sich drehte. Er ließ es ihr durchgehen, wenn sie wie eine Verliebte seinen Namen flüsterte, ihren eigenen wollte er lieber nicht wissen, doch als sie einmal nach seinen Schultern griff, um ihn an sich zu ziehen, stieß er sie weg. Es waren ihre Augen, die er nicht ertrug, nicht dieses neblige Grau, in dem Drogen und Schnaps um die Wette tanzten mit einem total vermurksten Leben.
    Kurz nachdem er sie in dieser Bar gesehen hatte, war er noch einmal hingegangen, zu einer Uhrzeit, da er sicher sein konnte, daß sie mit ihrer erbärmlichen Darbietung schon fertig war. Sie hing an der Bar herum, steckte ihre Nase in ein Schnapsglas und hielt sich einen Kerl vom Leib, der sie betatschen wollte. Als sie ihn sah, sprang sie auf ihn zu, als wären zehn Jahre vergangen.
    »Ich hab so gehofft, daß du kommst«, sagte sie.
    Er nahm sie mit zu einer Würstchenbude, wo sie kaum etwas aß, weil sie wohl noch nicht einmal genügend Geld hatte, um satt zu werden. Es regnete, er erinnerte sich an das beständige Pochen auf das Plastikdach und an ihre verhaltenen Stimmen.
    »Was willst du machen?« fragte sie. »Willst du zur Uni?«
    »Nein.« Er streckte sich. »Ich werde Polizist.«
    »Wirklich?« Es war das erste Mal, daß er ein Lächeln in ihren Augen sah, ein seltsames Funkeln, das er nicht mochte, weil es von weit her zu kommen schien. So ein merkwürdiges Gefühl löste es aus, er sah sich eine dunkle Straße entlanglaufen, an deren Ende ein kleines Licht brannte. Warm leuchtete es herunter auf die Straße, und als er den Kopf hob, erkannte er, daß es aus seiner eigenen Wohnung kam. Er fand keine Erklärung dafür, nur ein Lied fiel ihm ein, in dem es hieß, man solle für jene, die man liebte, ein Licht brennen lassen, damit sie zurückfanden in einer dunklen, kalten Nacht. Doch diese Gedanken trösteten ihn nicht, sondern ließen ihn frieren und schwitzen zugleich. Er blinzelte, denn ihre Augen waren heller geworden, größer auch, sie zogen ihn hinab in eine Schlucht, aus der es kein Entkommen gab. Aber so ein Gefühl durfte er nicht haben, nie mehr, er bekam einen Herzanfall sonst, oder etwas anderes geschah, was er nicht wollte.
    Er kannte sie kaum. Sie war kein Mensch, den er kannte. Sie war nur eine Schlampe, mit der er Mitleid hatte, weil sie so erbärmlich

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