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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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los ist, hab ich gefragt, und du hast Frau Tillmann zitiert, hast ihre Worte wie ein hysterischer kleiner Clown in den grauen Morgen gebrüllt: »Nicht hudeln! Mach’s ordentlich.«
    Dann sind wir in die Stadt zurückgefahren, halb betäubt und trotzdem wach wie nie. Den Kombi haben wir in einer Seitenstraße abgestellt, und Tillmanns Schaufel landete hinter Mülltonnen in irgendeinem Hauseingang. Es war zu Ende, und wir redeten nicht darüber; das war unsere zweite Riederwaldnacht, und auch über die erste redeten wir nie.
    Sieben war es oder halb acht. Sie standen vor den Ramschläden und guckten in das Schaufenster mit seinen Kindersachen, die wie Topflappen aussahen und zweifünfzig kosteten. Sie starrten hinein, ohne zu wissen, warum sie guckten und wie es nun weiterging.
    Dorian sagte: »Ich muß dir was zeigen.« Er konnte sich nicht erinnern, Robin wirklich hierher geführt zu haben, in diese traurige Gegend, in der das Hotel Sylvia stand. Aber nun waren sie hier, und das hatte vielleicht seinen Grund.
    Ein müder alter Mann stand am Tresen. Er fragte nicht, ob sie ein Zimmer wollten, er putzte seine Brille. Ihr seid nicht wichtig, erzählte diese Geste, wer außer Pennern, Säufern und Huren kommt schon hierher? Da eilt es nicht, da hat man Zeit. Kann man die Brille putzen und überlegen, welche Lottozahlen man in dieser Woche tippt.
    »Was denn?« fragte er, als er mit der Brille endlich fertig war.
    Seufzend stützte Dorian sich am Tresen ab. Wir möchten zu dieser Frau, wollte er sagen, eine der Schlampen, ja, eine Hure ist sie wohl nicht. Noch nicht.
    »Was für ’n Scheiß«, sagte Robin laut und meinte den Alten vielleicht oder das ganze Hotel. Dann sah er sie, sah sie eine Sekunde vor Dorian und zischte: »Nein, du Arsch, nein. «
    Sie kam aus einer dunklen Höhle hervor. Es hatte sich nur ein Vorhang bewegt, ein schmutziges, braunes Ding, das am Ende eines kleinen Korridors hing. Sie trug eine Plastiktüte und schien wieder zu frieren, wurde so früh am Morgen schon zu Eis. Es brauchte eine Weile, bis sie merkte, daß da zwei Menschen neben dem Alten standen, der vielleicht schon längst zum kümmerlichen Mobiliar gehörte. Sie blieb stehen und probierte zu atmen, dann sagte sie mit leiser, fast fragender Stimme: »Hey – Robbi.«
    Robin bewegte die Füße wie in Kempers Wohnung, trampelte mit kleinen Schritten auf der Stelle. Er ballte die Finger und holte Luft, ohne etwas zu sagen, dann trat er gegen den Tresen, drehte sich um und rannte hinaus.
    Sie sagte nichts dazu. Sie guckte zur Tür, hinter der Robin verschwunden war, als hätte sie besondere Augen, die seinen Weg verfolgen könnten bis zum Ziel. Als sie Dorian endlich ansah, lag in ihrem Blick der Ausdruck eines Menschen, der gerade aufgewacht war.
    »Du Schöner –« Sie versuchte ihn anzulächeln. »Trinkst du einen Kaffee mit mir?«
    Zwei Häuser weiter war ein Stehcafé, das mehr nach Pisse als nach Kaffee roch. Er starrte auf ihre ausgebeulte Plastiktüte, in der wohl alles drin war, was sie besaß, weil in so einem Hotel nichts sicher war.
    »Bücher«, sagte sie, als er hochsah. »Aus der Bücherei, ich will sie nachher zurückbringen.« Sacht fuhr sie mit einem Finger über seinen Handrücken und murmelte: »Er ist so dünn.«
    »Mein Bruder?« Er lachte. »Besser klein und dünn als kurz und fett.«
    »Ist er gesund?«
    »Ja sicher.« Er glaubte, er müßte ihr einen Gefallen tun und wußte nicht genau, wie er es sagen sollte.
    »Und so blaß.« Sie sah ihm ins Gesicht. »Du auch.«
    Er pustete in seinen Kaffee. »Ich hatte ’ne harte Nacht.«
    Wieder versuchte sie ein Lächeln. »Hast du deine Freundin besucht?«
    »Nee, wir haben ’ne Leiche vergraben.« Er unterdrückte ein Kichern.
    »Ach so«, sagte sie ernst. »Das muß ja auch mal sein.«
    »Ja.« Er trank einen Schluck und fand, daß Kaffee mit Cognac drin besser schmeckte. »Kemper.«
    Sie sah ihn eine Weile an, und ihre Finger hoben sich ein wenig wie bei einem Menschen, der gleich mit dem Klavierspiel beginnt. »Was ist mit ihm?«
    »Alles in Ordnung.« Er versuchte die richtigen Worte zu finden, und vielleicht stotterte ein wenig, als er sagte: »Mit dem Schlagstock. Und dann weggetragen aus der Wohnung. In einen Kombi, war gestohlen. Ja, und dann ins Gebüsch. Riederwald, da kommt keiner hin, außer euch Gesindel kommt da keiner hin. Begraben. Richtig tiefes Loch gegraben, war schwer. Aber jetzt ist gut, jetzt liegt er da. Ist alles zu, sieht kein Mensch.« Das

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