Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
Vom Netzwerk:
trauriges Bett, sie lag rechts – also von dir aus gesehen links. Sie mußte immer nahe der Tür sein, merkwürdig, aber sie kam ja nicht weg.«
    Der Mann log in einer Tour, merkte Robin das nicht? Kemper brachte seine Frauen durcheinander, verwechselte die eine mit anderen. Wäre ihre Mutter hier gewesen, wären das acht S-Bahnstationen zum Haus der Tillmanns, zu Robin und ihm. Lächerlich, das war nicht auszudenken, das war nicht wahr. Vielleicht war sie auf Tournee in Afrika, da wollte sie schon immer mal hin, Dori, sagte sie, in Afrika sind viele Raben bunt. Vielleicht war sie tot.
    »Früher«, sagte Kemper, »lief ja alles wie von selbst, da klimperte sie auf ihrem Klavier und konnte sich damit durchschlagen, die Leute fanden sie toll, und sie hat sich wohl gedacht, so geht es ewig weiter. Sie war so dumm zu denken, das Leben wäre Schokolade, bis sie nur noch saure Gurken im Mund hatte, und da wollte sie keiner mehr außer mir.«
    Dorian drehte sich um. Kemper streckte sich ein wenig wie ein fauler Kater. »Sie hatte nichts mehr, und ich habe sie aufgenommen. Zweimal habe ich sie aufgenommen, einmal mit euch, das wißt ihr doch noch, und ich würde es sicher auch ein drittes Mal tun. Bei mir hatte sie alles, was sie brauchte.« Mit den Fingern zählte er ab. »Pillen, Stoff, Essen, Kleidung, Heizung, Sex. Mehr brauchte sie nicht.« Er ließ seine Hand durch die Luft segeln. »Nein, stimmt nicht, euch hat sie gebraucht.« Er schwieg und rieb sich die Augen und sagte dann: »Ja.«
    Auf einem Glastisch neben dem Fernseher standen Vasen aus Ton. Kamen die aus Afrika? Sie waren bunt bemalt. Clowns und Püppchen aus Porzellan auf einem Bord an der Wand, Sammlerstücke, so sah es aus.
    »Sie lügen«, sagte Dorian. »Auf dem Briefkasten steht nur Ihr Name, das sieht nicht so aus, als wär da jemals ein zweites Schild gewesen.«
    »Nein«, sagte Kemper, »da war nie eins. Wieso auch, sie hat niemals Post bekommen.«
    Dorian ging zum Fenster. Keine Pflanzen, nirgendwo Pflanzen, kein Leben hier. Mit einem Finger strich er über die Tapete, sie hatte feine, hauchdünne Streifen. Kempers Stimme, die nicht verging, seine Lügen.
    »Sicher hätte sie sich zu Tode geschämt, so vor euch anzutanzen.« Kempers leise Stimme, Falschaussagen, Irreführung. »Aber sie hat das Spiel nun einmal mitgespielt. Dafür hat sie eure Geburtstage begangen, in Stille begangen, muß ich sagen. Sie hat ja nun überhaupt nicht viel geredet, aber an diesen Tagen war sie stumm.«
    Schwarzpoliertes Holz. Der Schrank. Dorian strich mit dem Knüppel an seiner Kante entlang.
    »Elfter Februar und dritter August«, hörte er Kemper sagen und schlug mit dem Knüppel auf das Bord an der Wand. Zwei Clowns fielen herunter, ohne zu zerbrechen; er holte aus und fegte den Rest hinterher, Püppchen mit geschwungenen Kleidern aus Porzellan.
    »Bengelchen.« Kemper blieb sitzen, sprach lauter jetzt, doch lag keine Unruhe in seiner Stimme. »Mein Gott, Junge, sie hat euch nicht verlassen, nicht richtig, nicht im Innern, es war halt eine schlechte Zeit.« Sein Arm fing an zu rudern, und als er »Hier« sagte, »hier, schau«, sah es aus, als bitte er ihn, Platz zu nehmen. Doch er deutete nur auf den niedrigen Tisch, vor dem er saß. »Hier, schau, das hat sie vergessen, das hab ich ihr mal geschenkt, und sie mochte es sogar. Nimm es, Junge, nimm es mit und hör auf zu kaspern.«
    Es war ein kleiner Vogel aus Ton, der neben dem Aschenbecher stand, eine Schwalbe? Dorian schlug ihn vom Tisch, und er flog in Robins Richtung, Robin schrie: »Ja, Mann.« Er drehte sich, schlug alle Vasen herunter, schlug kurz und heftig auf den Glastisch, und das machte noch nicht einmal viel Lärm.
    »Mensch, Mensch«, rief Robin, doch Dorian sah ihn nicht, hörte nur seine Stimme, »Mensch, Mensch«, als er den Knüppel in den Fernseher schlug. Jetzt war es richtig laut, alles zerbrach und fiel in Stücke, alles platzte auseinander, und er sprang herum und schlug Kemper gegen den Hals, als er ihn auf sich zukommen sah.
    Kemper fiel aufs Sofa zurück, fiel so ordentlich auf den Sitz, als wäre er nie aufgestanden. Was war das hier, der klappte den Mund auf, nur um zu lügen – Dorian rannte hinterher, und der Knüppel ging auf Kempers Schultern nieder, auf der linken, auf der rechten und wieder auf dem Hals; schau, wie alles auseinanderplatzt, wie es sich auflöst in Blut, Blut kam aus der Nase wie rotes Wasser aus dem Hahn. Stille jetzt, nur ein Stöhnen und ein paar undeutliche

Weitere Kostenlose Bücher