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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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wieder da ist. Aber vielleicht ist sie ja tot.«
    »Haben Sie Kemper getötet?« Kissel stellte ihm diese Frage, doch guckte er die Henkel an. Er schien wütend auf sie zu sein. Sie erwiderte Kissels Blick und sah dann gelangweilt weg, interessierte sich anscheinend nicht für Kemper.
    Dorian schüttelte den Kopf. »Robin hat gesagt, daß er da liegt.«
    »Schau an.« Kissel verzog die Lippen zu einem giftigen Lächeln. »Jetzt denken wir wieder klar, ja? Kommen Sie mit.«
    Auf der Fahrt zum Präsidium hockten sie stumm neben ihm im Wagen, während er sich fragte, wie oft er die Stadt noch sehen würde. Er sah sie am liebsten vom Auto aus, wenn die Häuser vorüberflogen und die Gesichter der Menschen nur flüchtige helle Flecken waren. In ihrem Zimmer, das nur aus zwei Schreibtischen, einem Schrank und einem Aktencontainer bestand, versteckte Ina ihre Beine unter einem Tisch und fing mit schläfriger Stimme an zu fragen: Hast du Kemper getötet? Nein? Wieso wußtest du dann von seinem Grab? Wer hat Kemper getötet, du, Robin, eure Mutter? Immer dasselbe, wie in einer Beschwörung, immer wieder von vorn, doch alles, was er antwortete, war: Robin sagte, daß einer da liegt.
    Kissel stand am Fenster und starrte ihn bloß an.
    Okay, Robbi, mal sehen, wie lange ich dich da raushalten kann. Ich hab’s dir versprochen damals, erinnerst du dich? Als ich dir klarmachte, daß der rausmuß aus der Wohnung, weit weg.
    »Zwei Schüsse«, sagte die Henkel und sah ihn unbewegt an. »Kannst du dich erinnern?«
    »Ich weiß es nicht.« Klar, daß sie das häufig so machte, stellte falsche Fragen, um auf die richtige Antwort zu warten, die man gedankenlos gab, nein, keine Schüsse, der wurde doch erschlagen. Doch er sagte nichts, und Müdigkeit und Verdruß krochen in ihren Augen hoch wie Schatten an der Wand.
    »Weißt du, wo Robins weißes T-Shirt ist?« Die ganze Zeit über drehte sie einen Stift zwischen den Fingern, als brauchte sie etwas zum Festhalten.
    Langsam schüttelte er den Kopf, weil er nicht begriff, was sie wollte – sprach sie nicht von Kemper?
    »Robin trug ein weißes T-Shirt, als er erstochen wurde. Als man ihn fand, trug er es nicht mehr.« Ausdruckslos waren ihre Augen jetzt. »Hast du es ihm ausgezogen?«
    »Nein«, sagte er. »Ich weiß das nicht. Man hat ihn auch nicht gefunden, ich habe ihn gefunden. Na gut, dieser Mann mit dem Hund, der uns gerufen hat. Aber ich hab ihn identifiziert.«
    »Wer hat versucht, das Blut vom Körper abzuwaschen, du? Deine Mutter?«
    »Abwaschen«, wiederholte er. »Ich weiß doch nicht – wie kommst du auf unsere Mutter, warum redest du so mit mir?«
    »Vielleicht«, sagte sie ganz langsam, »ist Robin bestraft worden.« Doch sie sah ihn dabei an, als hätte sie gar nichts gesagt, nichts Wichtiges jedenfalls, einfach ein paar Worte an der Bushaltestelle, wenn man wartend beieinanderstand.
    Heftig schüttelte er den Kopf. »Was soll das, wer sagt das?«
    »Du hast das gesagt. Auf dem Friedhof, neben der Leiche.« Sie spitzte die Lippen ein wenig wie zum Kuß, dann tippte sie mit dem Stift auf ihr Notizbuch und wiederholte: »Vielleicht ist Robin bestraft worden.«
    »Ja, vielleicht«, murmelte er. »Er war böse, mehr weiß ich nicht. Er hat überhaupt nie geliebt, nur gehaßt.«
    Sie ließ den Stift auf die Tischplatte fallen.
    Eine Weile war es still im Zimmer, nur vor der Tür hörte er müde Schritte schlurfen wie von einem alten Nachtwächter auf seinem letzten Gang. Dann sprach Kissel endlich, mit einer Stimme, die so ruhig und gemessen war wie die eines Tagesschausprechers: »Sie verprügeln gern mal jemanden, Herr Kammer?« Er wartete ein paar Sekunden, bevor er zwei beschriebene Blätter aus einer Schublade zog. »Es geschah bei Ihrem Einsatz in der Buchwald-Straße. Ein Herr Matern meldet, daß Sie ihn tätlich angriffen und dabei seinen Kopf mehrmals gegen die Wand schlugen, kurz nachdem Frau Mewes die betreffende Wohnung verlassen hatte.« Er sah hoch wie ein Tagesschausprecher und nahm das nächste Blatt. »Hier haben wir die Anzeige einer Frau Petersen, Journalistin. Sie sind ihr in ihre Wohnung gefolgt, wo Sie ihr mit einer schweren Bodenvase eine erhebliche Gesichtsverletzung beigebracht haben.«
    »Ich bin ihr nicht gefolgt«, sagte Dorian. »Die wollte mich abschleppen.«
    »Wollte sie?« Kissel lächelte ihn an. »Dann ist sie ja ähnlich verwirrt wie Sie. Jedenfalls erstattete sie Anzeige gegen einen jungen Mann, von dem sie sicher war, daß sein Name

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