Sterntaucher
Worte, aber keine Lügen mehr. Er drehte sich um.
»Hier«, sagte er und hielt Robin den Schlagstock hin.
Robins Augen weiteten sich hinter der Brille und wurden groß und rund wie Wolken. Mit einem Grunzen riß er ihm den Knüppel aus der Hand und sprang auf das Sofa. Frau Tillmann hätte geheult, würde sie das sehen, Robin mit seinen dreckigen Stiefeln auf dem weißen Ledersofa. Links und rechts von Kempers Oberschenkeln waren seine Stiefel und sauten alles ein. Es gab ein zischendes Geräusch, als er ausholte und die Luft einsog, doch als der Knüppel niederging, um mitten auf Kempers Kopf zu zerplatzen, war ein leises Wimmern alles, was von ihm zu hören war, das klanglose Winseln des kleinen Robin, der Trost brauchte, weil er müde oder hungrig war oder einfach schlecht gelaunt. Katja beugte sich über ihn und sang ihm leise ins Gesicht, dann fing sie an zu lachen, sagte: »Du kleines, ungnädiges Kerlchen du.«
Ab und zu hörten wir Schritte, kannst du dich erinnern? Wie auf einer trostlosen Party hockten wir nebeneinander auf dem Teppich und glotzten vor uns hin. Nichts geschah, nichts war zu hören außer Schritten, wenn draußen jemand war. Unser Herzrasen dabei, hast du das vergessen? Unsere Fingerspitzen, die lauter Fasern aus dem Teppich rupften, bis du sagtest: »Mann, hör auf, die Fingerabdrücke.« Ganz cool hast du das gesagt und ahnungslos: Fingerabdrücke.
Auf was haben wir gewartet, auf Kemper? Aber der blieb stumm und bewegte sich auch nicht mehr, darum hast du irgendwann gesagt: »Der ist weg.«
Hin meintest du, nicht weg. Komische Worte. Man sollte meinen, seine Seele ging irgendwohin, aber weißt du was, der hatte keine. Sein Kinn lag auf der Brust, weshalb wir ihm nicht ins Gesicht sehen konnten, und auf der Rückenlehne des Sofas lag sein Arm. Entspannt lag der Arm auf der Lehne, als würde er fernsehen – ein Sofa, ein Arm, ein toter Lügner.
»Du warst es«, sagte Robin leise.
»Nein, du.« Dorian legte ihm eine Hand aufs Knie. »Du hast ihm den Schädel gespalten, das warst du.«
»Aber du hast angefangen«, flüsterte Robin.
»Ist doch egal jetzt.« Dorian dachte die ganze Zeit daran, daß Robin es war, den man mit Kemper in Verbindung bringen würde, nicht ihn. Robin verkehrte in dem Pornoshop, in den Kempers spezielle Kunden kamen, obwohl er in seinem kurzen Leben wohl noch keinen einzigen Porno gesehen hatte. Egal, würde der Besitzer sagen oder der Verkäufer oder wer immer da stand, da war doch was mit einem Kurzen, den Kemper weghaben wollte, dieser Kleine, dessen Geldgier so riesig war – so etwas würde kommen, blieb Kemper hier liegen, sie würden Robins Spur aufnehmen, sobald man ihn fand.
»Er muß hier weg«, sagte Dorian.
»Wohin denn?«
»Weiß ich auch nicht, aber er muß weg.« Er stand auf und zog seine Polizeijacke wieder aus.
»Wie sollen wir das denn machen?« Robin schnaufte. »Ich pack den nicht an.«
»Doch, wirst du, sonst bist du dran. Mich kennt keiner von seiner Gefolgschaft, dich schon. Bist ja selber schuld.«
»Aber wie?« Robin flüsterte die ganze Zeit, als schliefe Kemper nur und er wollte ihn nicht wecken.
»Wir brauchen ein Auto«, sagte Dorian.
»Ja, Mensch, ja.« Robin sprang auf und fing schon wieder an zu hüpfen. »Mach ich, kann ich. Schließ ich kurz.«
»Womit denn?«
»Hab was dabei.«
Wie Mäuschen verließen sie die Wohnung und nahmen den Schlüssel mit, der von innen steckte. Sie grasten dunkle Seitenstraßen ab, und Robin versuchte es zweimal ohne Erfolg, bis sie einen alten Kombi entdeckten. Es klappte auf Anhieb, als hätte der Wagen auf sie gewartet.
»Du hast keinen Führerschein«, sagte Dorian, als Robin sich auf den Fahrersitz schieben wollte, da fing er blöde an zu kichern und hörte erst auf, als sie wieder in der Wohnung waren.
Kempers Arm auf der Rückenlehne des Sofas, Kempers Blut auf seinen Kleidern. Ihr Atem, während sie warteten, ein endloses leises Seufzen in die Stille hinein. Sie redeten nicht, starrten nur vor sich hin, bis Robin schließlich flüsterte: »Jetzt aber.«
Für ein paar Stunden war das Leben auf der Straße zu Ende. Das letzte, was sie gehört hatten, war schüchternes Hundegebell, gefolgt von einer lauten Stimme: »Oskar!«
Hieß er so, der Hund? Wie sah ein Hund aus, der Oskar hieß? Robbi, Mensch, wir hatten doch früher Kanaris, die hätte ich fast vergessen, kleine gelbe Luder, die jedem auf die Schulter schissen. Katja hat ihnen komische Namen gegeben, ich weiß nicht
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