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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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daß sie ohne ihn fuhr. Wie ausrangiert hockte er hier über Anzeigen und Berichten und wußte nicht, wer ihm das antat, denn der Schichtleiter bekam doch auch seine Befehle, doch von wem? Von der Kripo etwa, der Mordkommission?
    Tausend Fliegen im Kopf, ein Gesumme und Gezerre, das ihn atemlos machte. Er lief zum Fenster, doch es gab keine Luft, dann rannte er hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Ein Kaffee würde vielleicht helfen, er rannte den ganzen Weg und spürte seine Waffe an der Hüfte wie damals, als er vor ihr im Hotel das Holster öffnete. Im Taubenschlag stellte er sich an den Tresen und hörte den Bierhahn tropfen, was das traurigste Geräusch in einer Kneipe war, trauriger noch als die verklingende Stimme eines Priesters in einer Kirche, in der niemand betete außer ihm selbst. Kirchen und Kneipen sollten nicht leer sein, weil man dann das Gefühl bekam, man sei ganz allein auf der Welt – soll ich beten, Robbi, wird mir das helfen? Was sag ich da?
    »Billa, verdammt noch mal!« schrie er in den leeren Raum. Hier mußte er aufräumen, falls er am Leben blieb, mußte er Ordnung machen wie in seinem Kopf.
    Sie kam mit einem Kännchen Kaffee aus der Küche und fragte: »Magst du was essen?«
    »Hast du schon mal gebetet?«
    »Nein.« Sie schlug gegen den Bierhahn, der weitertropfte, ein Geräusch, das er schon einmal gehört hatte, dieses monotone Ploppen in die Stille hinein.
    »Warum nicht?«
    »Weil es nicht hilft.« Sie starrte auf den Hahn wie auf einen persönlichen Feind.
    Mit den Fingerspitzen fuhr er über den klebrigen Tresen – plopp, wieder ein Tropfen. Er ging zwei Schritte zur Seite – plopp, es hörte nicht auf, tropfte wie an jenem Tag, als Robin kam. Hier, genau hier hatte er gestanden. Robin quengelte, daß er Geld brauchte, wobei er mit rudernden Armen das beschrieb, was er seine derzeitige Finanzlage nannte: »Illiquid, klamm. Insolvent, finanzschwach.« Dorian hatte ihm fünfzig Mark gegeben.
    Und dann?
    Dieses Summen im Kopf, das er nicht länger ertrug – tausend Fliegen tanzten im Kreis. Hör zu, Robbi, um diese frühe Zeit werde ich den Laden nicht öffnen, nein, erst am Abend oder gegen fünf. Ich werde auch Cocktails anbieten, und ein erstklassiger Koch wird hier arbeiten. Was glaubst du, wie du staunen würdest, könntest du noch einmal kommen und alles sehen, die neuen Lampen und die Sitze und den sanften Glanz in den Augen der Gäste. Es gibt Kredite für Jungunternehmer, hast du das gewußt?
    Was hast du getan, hier am Tresen, was hast du gesagt? Der Fernseher lief, richtig? Dorian schaltete ihn ein. An diesem Tag tropfte der Bierhahn wie heute, und eine schöne Frau sprach die Nachrichten, blond war sie oder rot oder beides, rotblond; Robin kam herein und sagte: »Na, guckste wieder geile Weiber? Macht er manchmal«, sagte er zu Billa, »guckt sich Weiber auf Video an.«
    Dorian schaltete hin und her, doch jetzt gab es keine Nachrichten, nur Werbung, kreischende Hausfrauen und Musik. Begleitet vom Jubel des Publikums hüpfte eine Sängerin, die wie Madonna aussehen wollte, auf einer Bühne herum, um sich am Ende ihres bescheidenen Vortrages zu verbeugen. Dabei stellte sie sich an, als wär’s der größte Tag in ihrem Leben, warf Küßchen und lachte das ungläubige Lachen einer Bettlerin, die gerade im Lotto gewonnen hatte. Das hatte seine Mutter nie getan, Katja war stolz gewesen. Nur ein Lächeln galt den Leuten da unten, eine kleine Geste, daß sie einander verstanden. Das hast du nie mitbekommen, Robbi, nein? Warst damals zu klein, und auch später hast du dir das Video nie richtig angucken wollen, auf dem die Leute klatschten und trampelten und mit Rosen werfen wollten, hätten sie daran gedacht, welche mitzubringen. Überall war Licht, weißt du, es umhüllte unser Leben, denn wir hatten teil daran, so klein wir auch gewesen sind. Du hattest ja keine Ahnung, aber Menschen wie unsere Mutter leben in einer anderen Welt, und genau das konnte man in den Gesichtern lesen, zeigte das Video einmal die Leute im Publikum. Sie wollen doch alle ans Licht, wollen heraus aus der Leier, die ihr Leben ist, darum gucken sie hoch zu den Sternen, auf die Bühnen der Welt.
    Sie kommt wieder, Robbi, wir holen sie zurück. Wir haben es vielleicht schleifen lassen, sind mürbe geworden bei den Tillmanns und mutlos sicher auch. Das macht nichts, daß sie ein bißchen älter geworden ist, denk an die Sängerinnen, die mit vierzig, fünfzig noch auf den Bühnen stehen und

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