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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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war mit dem Blut passiert, der ganze Boden war doch voll, oder bildete er sich das ein? Was war passiert, war denn alles besudelt hier? Wie konnte er seine Kneipe dann noch Sterntaucher nennen, wenn alles besudelt war? Mama, Mama, wollte er schreien, wollte weinen wie ein kleines Kind. Mama, warum hilfst du mir nicht? Komm doch her zu mir, komm.
    »Schwarzer Rabe«, flüsterte er. War doch ein Unglücksvogel, ein Todesvogel, ein krächzender Teufel. »Ich kann sie nur Schwarzer Rabe nennen.«
    »Was meinst du?« Behutsam packte sie seinen Knöchel und kehrte den Dreck unter seinen Füßen weg.
    »Schwarzer Rabe wird er heißen. Der Taubenschlag, wenn ich ihn hab.«
    »Sicher gibt es fünfzig Kneipen, die so heißen.« Sie sah ihn müde an. »Ist doch einfallslos, mach Bunter Rabe daraus.«
    »Bunter Rabe«, wiederholte er.
    »Ja, die gibt’s«, sagte sie. »In Afrika gibt’s bunte Raben.«
    Bunte.
    Er spürte, wie seine Schultern sich zusammenzogen. Bunte Raben.
    Was wußte sie davon, was wußte sie von bunten Raben?
    Auf Knien lag sie vor ihm und guckte zu ihm hoch. Er sah ihre bleichen Wangen, Tote sahen so aus. Eine Wasserleiche, von drei Polizisten geborgen, hatte nichts Menschliches mehr gehabt, ein ans Ufer gespültes Wesen mit verschrumpelten Fingern.
    »Nein«, flüsterte er, »nein, nicht.« Er konnte sich nicht bewegen, obwohl er doch aufstehen wollte. Er konnte sich nicht bewegen.
    Er wollte nur schreien.
    Sie hatte auch Robins Blut aufgewischt, ja? Sie war das gewesen, sie wischte ja dauernd Blut, überall kroch sie im Dreck herum.
    Das blieb ihr doch, der Dreck, das war ihr Leben, sie trampelte durch Dreck. Erst auf Nuttenschuhen in diesem Haus, bis selbst Kemper sie loswerden wollte und nur noch Karl sie nahm. Karl, richtig, Karl, wenn er nett war, hatte diesen Kosenamen für sie, mit dem sie sich schmückte, und wenn sie zu faul war, nannte er sie du Aas. Also, was willst du von mir?
    Schau mich nicht an. Sag nichts von Raben. Was weißt du denn von Raben? Weg, weg mit den Augen – guck hin, hatte Robin geschrien, Mann, guck sie dir doch an, wie alt und häßlich sie ist.

[ 20 ]
    Sic hatte kein Talent zum Warten. Manche Kollegen nahmen es hin, wenn sie warten mußten, als wäre es ein heiliges Schicksal, in das sie sich zu fügen hatten, andere, wie Kissel, drehten dann auf. Ina starrte auf die geschlossene Tür – Kissel würde vergessen anzuklopfen, Kissel würde noch einmal seinen Ausweis ziehen und um Tempo bitten; wissen Sie, wo wir wären, würde er sagen, wenn alle so arbeiten würden wie Sie? Auf den Bäumen, pflegte er die Antwort dann vorwegzunehmen, dann würden wir alle noch auf Bäumen sitzen oder im Finanzamt.
    Sie mußten doch nur etwas nachgucken, überstieg das ihre Kräfte? Ein paar Tasten auf dem Computer, verdammt noch mal, ein paar Zeilen lesen, oder machten die erst Mittag? Das war ein Amt hier, das erklärte vieles, vielleicht auch ihren idiotischen Wunsch, einfach auf den Putz zu hauen, Polizei, ihr faulen Säcke, jetzt habt ihr zu springen. Sie lehnte sich gegen die Wand und spürte wieder dieses merkwürdige Summen in den Ohren, das von der ungewohnten Stille kam. Geisterhaft die Flure hier, wie im Präsidium um sechs Uhr morgens. Vielleicht fanden sie ja nichts, und sie stand wieder am Anfang, auf Null, vielleicht war es eine andere Stadt, aber wie sollte sie die finden? Pagelsdorf würde sich verklausuliert nach ihrem Zustand erkundigen, fing sie an, die Ämter aller Städte abzugrasen, bloß weil sie eine alte CD in Händen hielt. Als vor ihr die Tür geöffnet wurde, stieß sie sich von der Wand ab und blieb stehen.
    »So«, sagte die Frau, eine ältlich wirkende Bedienstete, die höchstens dreißig war. Komisch, daß manche tatsächlich so aussahen, wie man sich vorstellte, daß sie aussehen mußten.
    »Ich hab hier was.« Die Frau zog sich wieder in das Innere ihres Dienstzimmers zurück, in dem es auch nicht anders aussah als im Präsidium, langweilige Möbel mit ein paar langweiligen Pflanzen.
    »Diese hier«, sagte sie und drückte Ina einen Ausdruck in die Hand. »Wenn Sie in der Zeit zurückgehen wollen, müßte ich –«
    Was müßte sie? Vielleicht sagte sie es, doch Ina hörte es nicht mehr. Zwei Eheschließungen, eine vom letzten Jahr, Hufnagel, Robert Michael und Hufnagel, Martina, geb. von Mensing. Warum hatte die ihren Namen nicht behalten? Die andere war zwei Jahre her, Hufnagel, Karl und Hufnagel, Sybille Katja, geb. Kammer.
    »Ja«, sagte Ina.

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