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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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zaghaften Sonnenstrahl zusah, wie er anfing, die Welt neu zu malen.
    »Na?« fragte Stocker. »Fällt Ihnen was ein?«
    Doch, ja, sie hätte schwören können, daß sie White Linen benutzte, aber das sagte sie ihm jetzt besser nicht, weil sie seine Antwort schon kannte: Sie sind verrückt. Tommy sagte das auch, nur in anderen Worten: Du spinnst ja. Tommy wollte den alten Lippenstift wegwerfen, der auf der Fensterbank im Schlafzimmer lag und den sie vor vielen Jahren einmal mit dem Duft von White Linen verband, einem Parfüm, von dem sie sich vorstellen konnte, daß die Frau auf dem Video, die Tatverdächtige Kammer es benutzte – »Wenn das Band kopiert ist«, sagte sie, »nehme ich es mit nach Hause, vielleicht findet sich noch was.«
    »Was wollen Sie denn finden nach all den Jahren?«
    Gute Frage, ja. Sie schloß die Augen, als Katja Kammer sich zur Kamera drehte, und sah sekundenlang, wie in einem flüchtigen Traum, die alte Decke über dem toten Körper ihres Sohnes.
     
    Stunden später parkte sie ihren Wagen in einer tristen Seitenstraße und guckte sich die Häuser an. Kaputte Türen und aufgebrochene Briefkästen ließen sie unbewohnt aussehen, doch hin und wieder stand ein Mensch am Fenster, den Kopf so eilig vorstreckend wie eine hungrige Katze, bevor er wieder verschwand. Hier gab es kaum Licht, nur Lärm. Nachts zerplatzten Bierflaschen auf dem Pflaster und kroch das Gejaule der Säufer an den Hauswänden hoch, untermalt von den Schreien übers Ohr gehauener Huren. Kondome im Rinnstein wiesen den Weg zum in der Nähe liegenden Autostrich.
    Ina legte beide Arme aufs Steuer. Als ihr Vater seine kleine Bäckerei schließen mußte, hatte ihre Mutter so ein Bild an die Wand gemalt, eine dunkle Straße mit verfallenen Häusern, wo sie leben müßten, wenn er keine Arbeit mehr fand. Seither spürte sie die Kälte, wenn sie solche Gegenden sah, und konnte die Geheimschrift auf den Mauern lesen: Paß auf, ich hol dich, wenn du versagst.
    Hier war Katja Kammer aufgewachsen, in diesem längst verfallenen Haus auf der anderen Seite, in dem heute Junkies lebten. »Sie nannte die Straße Zigeunereck«, hatte Ellen Severin gesagt.
    Tillmanns Anwältin war eine dieser eleganten Mittvierzigerinnen, die herzeigten, was sie erreicht hatten. Die Möbel in ihrer großen Kanzlei wirkten schlicht und deshalb teuer, und die Bilder an den Wänden waren bunt und blöd, also sicher ziemlich wertvoll. Ja, Klaus Tillmann hatte ihr mitgeteilt, ein unerhörtes Video zu besitzen, auf dem er Katja Kammer zu erkennen glaubte.
    »Wann war das?« fragte Ina.
    »Vor ein paar Wochen.« Vorsichtig, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, tippte die Anwältin gegen einen verspiegelten Briefbeschwerer. »Er sprach davon, es Robin Kammer abgenommen zu haben und daß der Junge noch so ein Exemplar besitze, er sagte, daß Robin seine Mutter hasse. Ich verstehe das nicht, er kannte sie doch kaum.« Ellen Severin verzog die Lippen, als hätte sie etwas Saures im Mund. »Natürlich war klar, daß Tillmann das Video der Polizei übergeben müsse, falls es wirklich illegales Material enthalte, doch er hatte Angst, daß die Polizei ihm nicht glauben würde, um ihn dann selbst zum Täter zu stempeln, solche Fälle sind ja schon vorgekommen. Er war völlig verunsichert, das müssen Sie berücksichtigen.«
    »Kennen Sie Katja Kammer?«
    Die Frage schien sie zu überraschen. Unterbrochen in ihrem Plädoyer, hantierte sie umständlich mit zwei Bleistiften, doch als sie aufblickte, hatte ihr Blick sich verändert. Was lag jetzt darin, Wehmut, Trauer? »Früher kannte ich sie. Damals, als sie die Kinder zu den Tillmanns brachte, habe ich das Wichtigste geregelt, doch dann haben wir jeden Kontakt verloren. Sie wollen mir doch nicht etwa erzählen, Katja hätte mit dem Tod ihres Sohnes zu tun?«
    »Ich will Ihnen gar nichts erzählen.« Ina lehnte sich zurück. Natürlich trug die Frau sauteure Klamotten, und da sie selbst manchmal mehr für schicke Kleidung ausgab, als sie sich leisten konnte, wußte sie das zu würdigen: einerseits. Andererseits hatte sie grundsätzlich das Gefühl, von Leuten, die ihre Designerstücke mit links und der goldenen Kreditkarte bezahlten, untergebuttert zu werden. »Ich möchte wissen, wo ich sie finden kann.«
    »Oh ja, ich auch.« Ellen Severin schien durch sie hindurchzusehen. »Sie wollte sich nicht endgültig von den Kindern trennen, nur für eine Zeit. Damals lebte der Vater der Kinder schon nicht mehr. Sie waren nicht

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