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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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zog ihr Ding durch, wie es ihr gefiel.«
    »Aha«, sagte Ina. »Ich möchte eigentlich nur wissen –«
    »Woran ich mich erinnere, sind die Gürtel.« Die Architektin machte eine Handbewegung, als wolle sie die Polizistin aus dem Weg haben. Sie lächelte, wie verkaterte Saufkumpanen einander zulächeln, wenn sie am Morgen danach die Bruchstücke aus einer wilden Nacht zusammenklauben. »Katja trug für jeden ihrer Söhne einen Gürtel, und wir haben noch Witze darüber gerissen, wie viele Gürtel es einmal werden würden. Sie liebte lange Spaziergänge, war stundenlang mit den Kleinen unterwegs. Sie hat mal gesagt, ihr Körper wäre eine Landkarte, da war dann der Bauch Südamerika, das Herz die Wildnis und Deutschland der Kopf. Sie war ein bißchen spinnert. Sie hat ganze Nächte nicht geschlafen, wenn sie meinte, sie müßte ein bestimmtes Stück – na ja, komponieren, oder weil sie meinte, sie versäume was im Schlaf. Die Musik war ihr Rausch. Sie war immer auf der Suche nach etwas, das ihr Glück in den Körper pumpte. Das waren sogar ihre Worte: Glück in den Körper pumpen, mit Musik und Sex, mit dem Anblick der Natur und dem Lachen ihrer Kinder.« Sie räusperte sich und guckte auf ihre Füße. »Aber das interessiert Sie doch alles nicht, oder?«
    Doch. Irgendwie schon. Ina sah zu, wie die Frau das halb zerfetzte Foto so behutsam, als sei ihr sein Wert eben erst bewußt geworden, wieder in die Brieftasche schob. »Wann«, fragte sie langsam, »haben Sie sie zuletzt gesehen?« Fast hoffte sie auf ein Na, kürzlich erst und sah zum Fenster hinaus, als sie die Worte hörte: »Ich hab sie sicher fünfzehn Jahre nicht gesehen.«
    Sie hatte den kleinen Feldweg nehmen wollen und nicht die gerade, graue Straße. Doch dann hatte ihr verwunschener Weg sie wohl auf eine Müllkippe geführt, direkt hinein in ein grauenhaft stinkendes Loch.
    Aber damals hätte die nicht gezögert, Modezeichnerin zu werden. Die frühere Kammer wohl nicht.
    Ina hielt den Blick auf die wackeligen Häuser gerichtet, bis die Bilder in ihrem Kopf durcheinanderpurzelten. Der tote Robin unter der alten Decke, seine Mutter, die ihn vom Boden nahm und an sich drückte, während sie Geschichten von Vögeln erzählte, von so merkwürdigen Gesellen wie Sterntauchern und Trottellummen. Die Frau im Abendkleid, die zusah, wie eine junge Frau gefoltert wurde, die Frau am Klavier, die vor sich hinsang, als sei sie allein auf der Welt – - und sie müßte doch jetzt Mitte, Ende Vierzig sein, oder? Warum konnte sie sich das nicht vorstellen?
    Wie eine träge Schlange kroch ihr die Müdigkeit durchs Hirn und verscheuchte alle klaren Gedanken. Ganz unten in ihrer Tasche, wo sich grundsätzlich alles versteckte, was sie suchte, war das Briefchen mit den weißen Pillen, bei denen es sich strenggenommen um schwarze Pillen handelte, aber das sah man besser nicht so eng. Sie ließen das Herz ein bißchen stolpern, als sei es aus den Fugen geraten und käme gleich herausgehüpft, um die Welt von außen zu betrachten – egal. »Es war etwas mit Tabletten«, hatte die Anwältin über die Kammer gesagt. Schön, das kam vor.
    Sie steckte eine in den Mund und fuhr zusammen, als es neben ihr hupte. Eine Mahnung vom Himmel? Schluck nichts, trink nichts, lebe still vor dich hin. Bleib auf der geraden Straße, mein Kind, mach deine Arbeit. Sie sah einen dicken Mann in einem schwarzen Cabrio herüberstarren, der vermutlich auf dem Weg zum Drogenstrich war. Was für ein Anblick, warum hockten in den schicksten Cabrios die häßlichsten Kerle, gab es dafür ein ungeschriebenes Gesetz? Na gut, paß auf, ich zieh jetzt die Waffe und komm raus und mach dich Wurm zum Würmchen, ja? Du fetter, blöder Sack. Sie blieb sitzen und starrte zurück; war alles nicht erlaubt. Man durfte den Bürger nicht erschrecken ohne Grund. Es gab Vorschriften, und sie hielt sich meistens daran, um sich darüber zu ärgern, daß sie sich daran hielt. Doch hatte der Kerl sich bereits anders orientiert. Er fixierte eine stämmige Blondine, die mit vorsichtigen Tippelschrittchen die Straße herunterkam und dabei eine winzige Handtasche auf- und niederwippen ließ wie ein Kind sein Jojo. Als er erneut die Hupe drückte, warf sie die blonde Mähne zurück, deutete auf sein Nummernschild und schrie: »ICH SACH’S DER MAMA.«
    Ina öffnete gähnend die Beifahrertür; die Blondine ließ sich auf den Sitz plumpsen. »Haste das jetzt gesehen?«
    »Sicher.«
    »Und da krieg ich kein’ Schutz von

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