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Sternwanderer

Titel: Sternwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Beschütze mein Kind. Sie wollen ihr Leid zufügen. Ich habe alles getan, was in meiner Macht steht. Die Mondfrau hätte ihm noch mehr gesagt, und vielleicht tat sie es sogar, aber da wurde der Mond zu einem Schimmern auf dem Wasser weit unter ihm, und Tristran merkte, wie eine kleine Spinne über sein Gesicht krabbelte und daß sein Nacken ganz steif war. Er hob den Arm und wischte die Spinne behutsam von der Wange; die Morgensonne schien ihm in die Augen, und die Welt war golden und grün.
    »Du hast geträumt«, sagte die Stimme einer jungen Frau von irgendwoher über ihm. Die Stimme war leise und hatte einen seltsamen Akzent, und die Blätter der Blutbuche über seinem Kopf raschelten.
    »Ja«, antwortete Tristran der Person im Baum, die er nicht sah, »ich habe geträumt.«
    »Ich hatte letzte Nacht auch einen Traum«, sagte die Stimme. »In meinem Traum habe ich den ganzen Wald gesehen, und irgend etwas Riesiges hat ihn durchquert. Es kam näher und immer näher, und da wußte ich, was es war.« Abrupt hielt sie inne.
    »Und was war es?« fragte Tristran.
    »Alles«, antwortete sie. »Es war Pan. Als ich sehr jung war, hat mir jemand erzählt, daß Pan den ganzen Wald besitzt – vielleicht war es ein Eichhörnchen, die reden immer soviel, oder eine Elster, vielleicht auch ein Fischchen. Na ja, er gehört ihm nicht richtig, nicht so als wollte er ihn jemandem verkaufen oder eine Mauer drum herum errichten…«
    »Oder die Bäume fällen«, steuerte Tristran hilfsbereit bei. Die Stimme schwieg. Er überlegte, wo das Mädchen wohl geblieben war. »Hallo?« sagte er. »Hallo?«
    Wieder raschelte es in den Zweigen über ihm.
    »So etwas solltest du nicht sagen«, meldete sie sich schließlich wieder zu Wort.
    »Tut mir leid«, antwortete Tristran, nicht ganz sicher, wofür er sich eigentlich entschuldigte. »Aber du hast mir gesagt, daß Pan den Wald besitzt…«
    »Selbstverständlich tut er das«, entgegnete die Stimme. »Es ist ja nicht schwierig, etwas zu besitzen. Oder alles. Man muß nur wissen, daß es einem gehört, und dann bereit sein, es loszulassen. Pan besitzt den Wald auf diese Art. Und in meinem Traum ist er zu mir gekommen. Du warst auch in meinem Traum und hast ein trauriges Mädchen an einer Kette geführt. Ein sehr, sehr trauriges Mädchen. Pan hat mir gesagt, ich soll dir helfen.«
    »Mir?«
    »Und ich hab’ mich ganz warm und kribbelig und weich innen drin gefühlt, von den Blätterspitzen bis in die Wurzeln. Da bin ich aufgewacht, und da lagst du hier und hast ganz fest geschlafen, den Kopf an meinem Stamm, und geschnarcht wie ein Ferkel.«
    Tristran kratzte sich an der Nase. Jetzt suchte er keine Frau mehr in den Ästen, sondern betrachtete den Baum selbst. »Du bist also ein Baum«, sagte er nachdenklich.
    »Aber ich war nicht immer schon ein Baum«, sagte die Stimme im Rauschen der Blutbuchenblätter. »Ein Zauberer hat mich in einen verwandelt.«
    »Was warst du vorher?« fragte Tristran.
    »Meinst du, er mag mich?«
    »Wer?«
    »Pan. Wenn du der Herr des Waldes wärst, würdest du doch nur jemandem, den du magst, eine Aufgabe übertragen, ihm sagen, er soll alles in seiner Macht Stehende tun, um zu helfen, oder?«
    »Nun…« Tristran zögerte, und ehe er sich zu einer Antwort durchgerungen hatte, sagte der Baum: »Eine Nymphe. Ich war eine Waldnymphe. Aber ein Prinz – kein netter Prinz, einer von der anderen Sorte – hat mich verfolgt, und, na ja, von einem Prinzen, selbst von der falschen Sorte, würde man doch erwarten, daß er die Grenzen kennt, oder nicht?«
    »Ja.«
    »Genau das denke ich auch. Aber er kannte sie nicht, also hab’ ich beim Weglaufen ein paar Beschwörungsformein gesagt, und – schwupps – da war ich ein Baum. Was hältst du davon?«
    »Hmmm«, antwortete Tristran, »ich weiß ja nicht, wie du als Waldnymphe ausgesehen hast, aber als Baum bist du wirklich sensationell.«
    Die Blutbuche antwortete nicht gleich, aber die Blätter raschelten sehr wohlklingend. »Als Nymphe war ich auch ziemlich hübsch«, gestand sie scheu.
    »Um was für eine Art Hilfe geht es eigentlich genau?« fragte Tristran. »Nicht, daß ich mich beklage. Ich meine, momentan brauche ich jede Hilfe und Unterstützung, die ich kriegen kann. Allerdings ist ein Baum nicht unbedingt die Adresse, an die ich mich wenden würde. Du kannst mich nicht begleiten, mir nichts zu essen geben, den Stern nicht herbeiholen und mich auch nicht nach Wall zu meiner Herzallerliebsten zurückschicken.

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