Sternwanderer
wartete jetzt am Paßausgang. Ihre Ziegen waren an einen Dornbusch gebunden, an dem sie ohne große Begeisterung herumknabberten. Die Hexenkönigin saß derweil neben dem Wagen und schärfte ihre Messer an einem Schleifstein.
Die beiden Messer waren sehr alt. Die Griffe bestanden aus Knochen, die scharfen Klingen aus tiefschwarzem Vulkanglas, in welches für alle Ewigkeit weiße Schneeflockenformen eingefroren waren. Mit seiner beilartigen Klinge war das kleinere, ein schweres und hartes Hackmesser, besonders geeignet, um durch die Rippen eines Brustkorbs zu dringen, sie zu zertrennen und zu zerlegen, während das größere eher einem Dolch glich, mit dem man gut das Herz herausschneiden konnte. Als die Messer so scharf waren, daß sie mit ihnen jemandem hätten die Kehle aufschlitzen können, ohne daß das Opfer auch nur die leiseste Berührung gespürt hätte, obwohl das warme Blut in aller Stille heraussprudelte, legte die Hexenkönigin sie beiseite und begann mit ihren Vorbereitungen.
Zuerst ging sie zu den Ziegenböcken hinüber und flüsterte jedem etwas ins Ohr.
Wo die Ziegen gestanden hatten, erschienen nun ein Mann mit einem weißen Kinnbart und eine burschikose junge Frau mit teilnahmslosen Augen. Sie sagten nichts.
Nun kauerte sie sich neben ihren Wagen und flüsterte abermals einen Zauberspruch. Der Wagen blieb, wie er war, und die Hexenfrau stampfte mit dem Fuß auf.
»Ich werde alt«, sagte sie zu ihren beiden Dienern, aber diese antworteten nicht und ließen auch nicht erkennen, ob sie etwas verstanden hatten. »Unbeseelte Dinge waren schon immer viel schwieriger zu verwandeln als beseelte, denn ihre Seelen sind älter und dümmer und schwerer zu überreden. Wenn ich nur meine wahre Jugend wieder hätte… ach ja, in der Morgendämmerung der Welt konnte ich Berge in Ozeane verwandeln und Wolken in Paläste. Ich konnte Städte mit den Kieselsteinen vom Strand bevölkern. Wenn ich nur wieder jung wäre…«
Sie seufzte tief und hob die Hand: Ein blaues Flämmchen züngelte einen Augenblick um ihre Finger, dann senkte sie die Hand wieder, bückte sich, um ihren Wagen zu berühren, und die Flamme verschwand.
Sie richtete sich auf. In ihrem rabenschwarzen Haar zeigten sich jetzt graue Strähnen, unter ihren Augen dunkle Tränensäcke, aber der Wagen war verschwunden, und sie stand vor einem kleinen Gasthaus am Ausgang des Bergpasses.
Aus der Ferne hörte man leise den Donner grollen, Wetterleuchten blitzte auf.
Das Gasthausschild, auf dem das Bild eines Wagens zu erkennen war, schwang quietschend im Wind hin und her.
»Rein mit euch, ihr beiden«, befahl die Hexenfrau. »Sie reitet in unsere Richtung, also muß sie diesen Paß hier nehmen. Jetzt brauche ich nur noch dafür zu sorgen, daß sie auch reinkommt. Du«, sagte sie zu dem Mann mit dem weißen Ziegenbart, »du bist Billy, Eigentümer dieser Taverne. Ich bin deine Frau, und das da«, sie zeigte auf das Mädchen mit den stumpfen Augen, das einmal Brevis gewesen war, »das da ist unsere Tochter und das Küchenmädchen.«
Abermals hallte der Donner in den Berggipfeln, diesmal lauter als zuvor.
»Bald wird es regnen«, prophezeite die Hexenfrau. »Bereiten wir das Feuer vor.«
* * *
Tristran spürte, daß der Stern dicht vor ihnen war. Das Einhorn war ständig in Bewegung, aber er hatte das Gefühl aufzuholen.
Und zu seiner großen Erleichterung schien auch die Kutsche dem Weg des Sterns zu folgen. An einer Gabelung machte Tristran sich zwar kurz Sorgen, sie würden womöglich die falsche Abzweigung nehmen, und war schon auf dem Sprung, die Kutsche zu verlassen und weder zu Fuß weiterzugehen, doch sein Gefährte zügelte die Pferde, stieg vom Kutschbock und holte seine Runen heraus. Als die Befragung vorbei war, kletterte er wieder herauf und lenkte die Kutsche nach links.
»Ich möchte Euch ja nicht zu nahe treten«, sagte Tristran, »aber darf ich fragen, was Ihr sucht?«
»Mein Schicksal«, antwortete der Mann nach kurzem Zögern. »Mein Recht zu herrschen. Und du?«
»Ich habe eine junge Dame mit meinem Verhalten verletzt«, erwiderte Tristran. »Und ich möchte es wiedergutmachen.« Während er das sagte, wurde ihm klar, daß das stimmte.
Der Mann grunzte.
Inzwischen wurde das Laubdach immer dünner, die Bäume seltener, und Tristran starrte auf das Gebirge, das vor ihnen aufragte. »Solche Berge!« rief er überwältigt aus.
»Wenn du älter bist«, entgegnete sein Begleiter, »mußt du mich einmal in meiner
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