Stets Zu Diensten, Mylady
Cayless’ Hütte bestand aus einem einzigen dunklen, unangenehm riechenden Raum. An einem Ende gab es eine Feuerstelle, deren einziger Abzug in einem Loch im Dach bestand. Auf dem Fußboden aus festgestampfter Erde stand eine uralte Truhe, die gleichzeitig als Bettgestell diente, denn auf ihr war ein Strohsack ausgebreitet.
Zwei Schemel, ein kleinerer Tisch mit angeschlagenem Waschgeschirr und einem Kerzenhalter, ein größerer Tisch und darauf ein irdener Topf machten die ganze Einrichtung der Behausung aus.
Ein Fenster gab es nicht. Licht und frische Luft konnten nur durch die geöffnete Tür hereinkommen. Wer immer hier wohnte, lebte offensichtlich die meiste Zeit im Freien.
Will untersuchte sofort ein Messer, das er in einer Ecke entdeckte. Es war allerdings so stumpf, dass man kaum Butter damit hätte schneiden können, und folglich kaum als Waffe geeignet.
Rebecca ließ sich wortlos auf einem der Schemel nieder. Das einzige Tuch, mit dem sie ihre nassen Haare hätte trocknen können, war ein schmutziger Fetzen dicht neben den Holzkohlen der Feuerstelle. Dann mussten ihre Haare eben weiter tropfen.
Plötzlich wurde es in der Hütte vollkommen dunkel: Job Coopers kräftige Gestalt füllte beinahe den ganzen Türrahmen aus. Er ließ Will gerade Zeit, sich ebenfalls auf einen Schemel zu setzen, dann verlangte er gebieterisch nach dem Schuhwerk.
“Barfuß könnt ihr nicht weit laufen. Sicherheitsmaßnahme, das müsst ihr verstehen”, meinte er. “Die Stiefel könnten mir passen. Kann sie gut brauchen draußen im Wald.”
Will erwog einen Augenblick, ihn um das Schuhwerk zum Zweikampf herauszufordern, hielt es dann jedoch für klüger, im Augenblick kein böses Blut aufkommen zu lassen. Zuallererst musste er an Becks Sicherheit denken. Achselzuckend zog er seine feinen rehbraunen Stiefel aus und übergab sie Cooper. Rebecca schlüpfte aus ihren ehemals eleganten Eskarpins und betrachtete schicksalsergeben ihre zerrissenen Strümpfe.
“Auf einer Flucht wären Schuhe vielleicht im tiefen Schlamm sowieso hinderlich”, meinte sie, als sie wieder allein mit Will war. “Andererseits dürfte es schwierig sein zu fliehen, wenn wir keine Ahnung haben, wo wir überhaupt sind.”
Will starrte sie ungläubig an. Diese Frau hört niemals auf, mich zu überraschen, dachte er. Sie ist einfach nicht kleinzubekommen. Jede andere Dame in ihrer Situation würde jetzt weinen und wehklagen. Nicht so Rebecca Rowallan!
“Sehen Sie eine Möglichkeit zur Flucht?”, fragte er sie.
Sie schüttelte den Kopf. “Im Augenblick nicht. Ich muss darüber nachdenken. Haben Sie Vorschläge, Will?”
“Nein, Beck, mir geht es wie Ihnen. Dieser Cooper hat bestimmt Wachen vor unserer Tür platziert. Alle Männer scheinen bewaffnet zu sein. Dann wissen wir, wie Sie bereits sagten, überhaupt nicht, wo wir sind. Irgendwo im Sherwood Forest zwischen Mansfield und Nottingham, möglicherweise gar nicht weit entfernt von Lord Byrons Landsitz. Dann gibt es im Wald vielleicht noch mehr Banden, wenn auch nicht unbedingt Ludditen”, zählte er all die Punkte nacheinander auf, die ein Entkommen mehr als unwahrscheinlich machten.
Rebecca stand auf, ging zur Tür und spähte nach draußen. “Da steht tatsächlich eine Wache”, erklärte sie. Eine Weile schwiegen beide nachdenklich.
“Wann, denken Sie, wird Mrs Grey in der anderen Kutsche auffallen, dass wir verschwunden sind?”, fragte sie dann in ihrem gewohnten sachlichen Ton.
“Wahrscheinlich noch nicht in Mansfield”, antwortete Will, der genau diese Frage in Gedanken erörtert hatte. “Sie wird annehmen, wir wären lange vor ihr an der Poststation angekommen und wegen des Unwetters weitergefahren, ohne die Pferde zu wechseln. Möglicherweise setzt sie ihre Reise bis Inglebury fort und entdeckt erst dort, dass wir verschwunden sind. Das kann einige Tage dauern.”
Zum ersten Mal geriet Rebeccas tapfere Fassade ins Wanken.
“Malen Sie nicht den Teufel an die Wand, Will! Aber Sie haben natürlich recht.”
Er fragte sich, ob es klug war, so aufrichtig zu ihr zu sein. Grenzte das nicht an Grausamkeit? Doch dann sah er, wie sie entschlossen den Kopf in den Nacken warf und die Hände ballte. Sie hatte sich wieder unter Kontrolle.
“Sie hassen uns, weil wir reich sind, nicht wahr?”, fragte sie. “Das macht mir Angst. Warum kommt ihnen niemand zu Hilfe, wenn sie schuldlos in diese schreckliche Lage gekommen sind?”
“Niemand kann den Fortschritt der Technik aufhalten, Beck.
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