Stets Zu Diensten, Mylady
dann aber leibhaftig zu Gesicht bekam, war er erstaunt. Dieser Mr Henson aus Nottingham stellte sich als kleiner, schmächtiger Mann mit einem Fuchsgesicht heraus. Gekleidet war er wie ein Kanzleivorsteher. Eines war sicher: Er selbst hatte niemals Hunger gelitten. Er trug gutes Schuhwerk, und sein Pferd war alles andere als eine Schindmähre.
Die Bewohner des Lagers liefen aufgeregt zusammen, um ihn zu begrüßen und Neuigkeiten zu erfragen. War die Regierung endlich bereit, auf ihre Forderungen einzugehen?
Henson schüttelte den Kopf und antwortete kurz angebunden: “Wie nicht anders zu erwarten, kommt man uns in keinem Punkt entgegen.”
Ohne sich weiter um den ausbrechenden wütenden Tumult zu kümmern, nahm der Mann aus Nottingham Job Cooper zur Seite und führte ein offenbar sehr ernstes Gespräch mit ihm. Nach ihren Blicken zu urteilen, die immer wieder zu den beiden Gefangenen wanderten, drehte sich ihre Diskussion um Rebecca und Will. Das Nötigste schien aber schnell abgehandelt zu sein, denn schon bald rief Job Cooper das Lager zusammen: “Der Meister will zu euch allen sprechen!”
Man schleppte einen Schemel herbei, und nachdem ‘der Meister’, wie Cooper ihn nannte, hinaufgestiegen war, verstummte langsam das aufgeregte Gemurmel, und alle hörten gebannt einer Rede zu, die in einer Stadt ohne Schwierigkeiten die Massen aufgewiegelt hätte.
Will hatte schon einige radikale Politiker sprechen gehört, allerdings noch keinen mit so sanftem Erscheinungsbild und zugleich derart ausgeprägter Fähigkeit, das Volk zum Aufruhr anzustacheln. Unwillkürlich fühlte er sich an den französischen Revolutionsführer Robespierre erinnert.
Immer wieder ließ ‘der Meister’ seinen Zuhörern Zeit, in lautes Jubelgeschrei auszubrechen, vorzugsweise, nachdem er ihnen Versprechungen bezüglich einer rosigen Zukunft gemacht hatte. Der Tag werde kommen, versicherte er, an dem die jetzigen Herren und Unterdrücker entmachtet würden, am Galgen baumelten und all ihre Besitztümer verlören. Stattdessen könnten dann sie, die Unterdrückten, Hungernden, in den Palästen von Silbertellern speisen, aus Kristallkelchen trinken und anstelle ihrer vorherigen Herren die Macht ausüben.
Rebecca erbleichte während seiner Rede. Als er endlich vom Schemel stieg und sich durch die jubelnde Menge einen Weg zu ihnen bahnte, griff sie Hilfe suchend nach Wills Hand.
Er drückte aufmunternd ihre kalten Finger und sagte leise: “Geh bitte in die Hütte, Beck. Ich will allein mit diesem Mann sprechen.”
“Nein, Will. Ich möchte nicht …”
Er nahm ihre beiden Hände und drückte sie. Ihr ernst und nachdrücklich in die Augen schauend, erklärte er: “Beck, bei unserer Trauung hast du gelobt, mich zu lieben, zu ehren und mir zu gehorchen. Bisher hast du nichts davon getan. Heute bitte ich dich zum ersten Mal, mir zu gehorchen, und ich habe dafür gute Gründe. Ich werde dir nachher alles genau berichten. Geh jetzt bitte in die Hütte. Ich will dich lediglich beschützen.”
Rebeccas Lippen bebten. So kenne ich Will gar nicht, dachte sie. Er ist plötzlich so ernst und streng!
Statt ihm weiter zu widersprechen, nickte sie und sagte nur: “Nun gut, Will. Aber sei vorsichtig, bitte.”
“Das verspreche ich.” Er beugte sich zu ihr und küsste ihr die Wange. “Tu es für mich, Beck.”
Er wartete, bis sie die Hütte betreten hatte, und wandte sich dann dem Mann zu, der über ihr Schicksal bestimmen würde.
Der Mann aus Nottingham sprach Will kühl und ruhig an: “Wahrscheinlich war Job dumm genug, meinen Namen zu erwähnen.”
“Das stimmt, wenn Sie Henson heißen”, gab Will ebenso kühl zurück.
Der Mann lächelte. “Das macht die Dinge natürlich etwas schwieriger.”
“Wahrscheinlich”, meinte Will. “Wie ich mich erinnere, gehören Sie zu den sogenannten gemäßigten Vertretern der Handweber und hielten kürzlich im Parlament eine Rede.”
Henson hob erstaunt die Brauen. “Das hat Sie interessiert? Nun, Mr Shafto, dann verstehen Sie gewiss auch, warum es wenig angezeigt erscheint, Sie freizulassen. Ned Ludd ist eine Erfindung, aber mich gibt es wirklich. Wenn wir Sie gehen ließen, läge mein Leben in Ihren Händen.”
“So wie jetzt das unsere in Ihren”, erwiderte Will. “Und zurzeit haben Sie alle Vorteile auf Ihrer Seite.”
“Für Sie eine völlig neue Lage, kann ich mir vorstellen”, meinte Henson mit einem aalglatten Lächeln. “Bislang haben Sie und Ihresgleichen immer das Leben der
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