Stevens, Chevy
war
nicht alles, worin sie gut war. Moms Hände sind vielleicht klein, aber sie hat
scharfe Augen, und ihre Finger sind flink. Oben auf ihrem Schrank standen
massenweise halbvolle Flaschen mit Duftwässern, Schönheitstinkturen und
Lotionen, deren sie überdrüssig geworden war, nachdem sie die Flaschen im
Laden eingesteckt hatte, kaum dass die Verkäuferin ihr den Rücken zudrehte.
Manchmal hat sie tatsächlich etwas gekauft, aber für gewöhnlich brachte sie es
in einen Laden derselben Kette in einer anderen Stadt wieder zurück. Ich erhob
Einwände, aber sie erklärte mir, dass sie den Frauen helfen würde, die das
Zeugs herstellten, und die eine oder andere Flasche, die sie so einsteckte, betrachtete
sie als Provision.
Nachdem
Mom erst einmal herausgefunden hatte, wie einfach es war, Parfüm zu stehlen,
probierte sie es auch mit Kleidung und Wäsche. Auch hier nahm sie nur gutes
Zeug aus Boutiquen. Als ich älter wurde, weigerte ich mich mitzukommen. Ich
bin mir ziemlich sicher, dass sie immer noch stiehlt. Ich habe sie nie gefragt,
aber die Frau ist besser gekleidet als manche Models.
»Manchmal
denke ich, dass sie mich als Kind lieber mochte«, sagte ich. Der Psycho sah
mich mit brennendem Blick an. Ich hatte einen wunden Punkt berührt.
Ohne den
Blick abzuwenden, sagte ich: »Vielleicht hatte sie mehr Spaß mit mir, als ich
klein war, oder es liegt daran, dass ich angefangen hatte, eigene Ansichten zu
entwickeln, und sie damit in gewissem Sinn herausforderte. Aus welchem Grund
auch immer, ich bin mir ziemlich sicher, dass sie enttäuscht war, als ich
erwachsen wurde.«
Der Psycho
räusperte sich, dann hielt er inne und schüttelte den Kopf. Er wollte etwas
sagen und musste nur ein klein wenig angestupst werden. So einfühlsam, wie ich
nur konnte, fragte ich: »Hast du als Kind jemals ähnlich empfunden?«
Er drehte
sich auf den Rücken und starrte zur Decke hinauf. Sein Kopf ruhte immer noch
auf meinem Arm. »Meine Mutter wollte nicht, dass ich erwachsen werde.«
»Vielleicht
sind alle Mütter traurig, wenn ihre Kinder groß werden.«
»Nein, es
war ... das war es nicht.«
Ich dachte
daran, dass er am ganzen Körper kein einziges Haar hatte und wie besessen er
vom Rasieren war. Ich zwang mich dazu, den Arm unter seinem Kopf zu beugen und
die Hand auf seine Stirn zu legen. Überrascht zuckte er zusammen, dann sah er
mich an, aber er entzog sich der Berührung nicht.
»Du hast
gesagt, ihr erstes Kind sei gestorben.« Ich spürte, wie er sich neben mir
verkrampfte. Ich hob die Hand, um ihm übers Haar zu streicheln, damit er sich
entspannen konnte, aber unsicher, wie er reagieren könnte, ließ ich sie nur auf
seine Locken sinken und drückte mein Bein gegen seins, damit er die Wärme
spürte. »Glaubst du, es hat etwas damit zu tun? Hattest du das Gefühl, du
müsstest sein Leben leben? Du weißt schon, als Ersatzkind.« Seine Augen wurden
dunkler, als er sich leicht abwandte. Ich musste verhindern, dass er
dichtmachte.
»Du hast
mich früher einmal nach Daisy gefragt, und ich wollte nicht darüber reden, weil
es mir immer noch ziemlich schwer fällt. Sie war großartig, ich meine, sie war
meine große Schwester, und ich bin sicher, dass sie sich manchmal über mich
geärgert hat, aber ich fand sie perfekt. Mom glaubte das auch. Nach dem Unfall
ertappte ich sie manchmal dabei, wie sie mich anstarrte, oder sie kam zu mir
und berührte mein Haar, und allein an der Art, wie sie es tat, wusste ich, dass
sie an Daisy dachte.«
Er wandte
mir erneut das Gesicht zu. »Hat sie jemals irgendetwas gesagt?«
»Eigentlich
nicht. Zumindest nichts, auf das ich sie jetzt festnageln könnte. Aber man muss
nicht immer die Worte hören, um Bescheid zu wissen. Sie hat es nie zugegeben,
aber ich bin ziemlich sicher, dass sie wünschte, ich und nicht Daisy wäre durch
die Windschutzscheibe geflogen. Das kann ich ihr noch nicht einmal zum Vorwurf
machen, denn lange Zeit wünschte ich das ebenfalls. Daisy war die Bessere von
uns beiden, und als Kind glaubte ich, deswegen habe Gott sie gewollt.«
ich wusste
nicht, was zum Teufel mit mir los war, wahrscheinlich waren es nur die blöden
Hormone, aber ich begann zu weinen. Es war das erste Mal, dass ich irgendjemandem
gegenüber diese Gefühle eingestand. Er öffnete den Mund und holte Luft, als
wollte er etwas sagen. Doch er schwieg, schloss den Mund wieder, tätschelte
mein Bein und starrte wieder an die Decke.
Wovor
hatte er Angst? Wie sollte ich ihn dazu bringen, mir zu
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