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Stevens, Chevy

Stevens, Chevy

Titel: Stevens, Chevy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Still Missing
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hätte einen
Scheiß auf seinen Schmerz geben sollen, aber als er mir das mit seiner Mutter
erzählte - und ich wusste, dass da noch mehr sein musste -, tat er mir so leid, weil er
eine beschissene Mutter hatte, die ihn total verkorkst hat. Ich hatte Mitleid,
weil er bei der Pflegefamilie misshandelt worden war und weil sein neuer Dad
sich anscheinend einen Dreck um ihn gekümmert hatte. Lag es daran, dass meine
Familie zerstört war? Konnte ich seinen Schmerz spüren, weil ich ihn ebenfalls
erlebt hatte? Ich weiß nur, dass ich es hasse, Doc, ich hasse es, wenn ich auch
nur ein Fünkchen Mitgefühl für diesen Psychopathen empfinde. Ich hasse es, dass
ich Ihnen das alles überhaupt erzähle.
    Die
meisten Leute denken, der Typ hätte mich die ganze Zeit mit seiner Waffe
bedroht, und ich widerspreche ihnen nicht. Wie sollte ich es je erklären
können? Wie kann ich ihnen sagen, dass ich ihn, wenn er mir von der Welt erzählte,
zum Beispiel von Gibraltar mit all den Affen, interessant und wortgewandt fand?
Und dass es mir gefiel, wenn er mir die Füße massierte,
weil sie wieder so geschwollen waren? Oder dass er während der Lesezeit so
enthusiastisch und witzig sein konnte oder dass ich, wenn er kochte - jedes
Mal, wenn er ein Ei aufschlug, führte er einen albernen Tanz auf und redete mit
verschiedenen Akzenten -, den Typen sah, der mir zum ersten Mal bei der
Besichtigung begegnet war? Wie könnte ich irgendjemandem erzählen, dass er mich
zum Lachen brachte?
     
    Ich war
immer so stolz auf meine Stärke. Ich gehörte zu den Frauen, die sagen: »Kein
Mann wird mich je verändern«, aber er schaffte es. Er hat mich verändert. Ich
fühlte mich, als würde noch eine kleine Flamme meines wahren Selbst in mir
brennen. Wie die Sparflamme beim Gaskocher flackerte sie im Hintergrund, aber
ich befürchtete, dass sie eines Tages ganz erlöschen könnte. Ich mache mir
immer noch Sorgen, dass sie eines Tages erlischt.
    Es gibt so
viele Bücher, in denen steht, dass wir unser Schicksal selbst bestimmen und
dass das, was wir glauben, eines Tages Wirklichkeit werden wird. Man soll
ständig mit aufgeklebtem Lächeln herumlaufen und nur positive Gedanken hegen,
und schon herrscht nur noch Friede, Freude, Eierkuchen. Nee, sorry, aber daran
glaube ich nicht. Man kann so glücklich sein wie nie zuvor in seinem Leben, und
trotzdem kann jeden Moment irgendwas völlig schiefgehen.
    Und ich
meine richtig total vollkommen schief. Es haut dich um und zerschmettert dich
am Boden, weil du so blöd warst und an Friede, Freude, Eierkuchen geglaubt
hast.
     
    10.
Sitzung
     
    Letzte
Nacht ist mir vielleicht ein Ding passiert, Doc. Ich hatte geschlafen - in
meinem Bett, was Sie doch bestimmt glücklich macht -, aber dann musste ich
pinkeln, also stolperte ich ins Badezimmer. Auf dem Rückweg begriff ich, was
ich getan hatte, und da wurde ich richtig wach. Ich war so aufgeregt, dass ich
den Rest der Nacht nicht mehr schlafen konnte.
    Es war nur
eine alte Gewohnheit, mitten in der Nacht noch einmal aufs Klo zu gehen, aber
das ist gut, weil es bedeutet, dass die alten Gewohnheiten wiederkehren, oder?
Und vielleicht bedeutet es, dass ich wieder ich selbst werde. Keine Angst, ich
habe nicht vergessen, dass Sie sagten, ich müsse lernen zu akzeptieren, dass
ich nie wieder genau die gleiche Person sein würde wie vor der Entführung. Aber
trotzdem, irgendetwas ist da noch.
    Vielleicht
hat es funktioniert, weil ich geschlafen und keine Gelegenheit hatte, zuerst
darüber nachzudenken. Mir hat der Spruch immer gefallen: »Tanze so, als würde
niemand zusehen.« Stell dir vor, du bist allein zu Hause, und im Radio kommt
ein abgefahrener Song. Du fängst an, ein wenig im Takt zu wippen, du fühlst
dich gut, findest den Rhythmus, und dann bist du mittendrin. Deine Beine
bewegen sich wie von alleine, deine Hände wirbeln durch die Luft, und du
wackelst wie verrückt mit dem Hintern. Aber sobald du in der Öffentlichkeit
bist, denkst du, jeder würde dich beobachten und über dich urteilen. Du denkst:
Wackele ich zu sehr mit dem Hintern? Bin ich noch im Takt? Lachen die anderen
über mich? Und dann hörst du auf zu tanzen.
     
    Jeden Tag
auf dem Berg wurde ich aufs Neue geprüft. Wenn er zufrieden war, bekam ich
Privilegien. Wenn ich etwas nicht schnell oder perfekt genug erledigte, was
nicht oft geschah, da ich verdammt vorsichtig war, schlug er mich oder entzog
mir die Privilegien.
    Während
der Psycho eifrig damit beschäftigt war, mein Benehmen zu

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