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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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an?« fragte der Alte.
    Ein kräftiger, junger Mann erhob sich und putzte sich den Mund ab. Lamartine griff in die Tasche seines Überziehers, holte
     die stählerne Marke der Pariser Polizei hervor und zeigte sie in die Runde. Der junge Mann nahm wieder Platz, dafür erhob
     sich der Alte. Er ging zum Tresen und besah sich ein Glas im Gegenlicht, dann schenkte er es halb voll Cognac und reichte
     es Lamartine. Der Inspektor trank einen winzigen Schluck, er vertrug tagsüber keinen Cognac, aber er wollte das angebotene
     Glas nicht ablehnen.
    »Franc war erst wenige Tage hier. Wenn er etwas angestellt hat, dann ist das seine Sache. Unter uns war er ein Fremder«, erklärte
     der Alte.
    Lamartine nickte. »Warum hat er den freien Tag genommen?«
    Der Alte wußte es nicht. »Wir haben ihn an diesem Tag nicht unbedingt gebraucht, da war es uns egal, warum er nicht kam   ...«
    »Er wird nicht mehr kommen. Gaston Franc ist tot«, erklärte Lamartine.
    Alle schwiegen.
    Lamartine gab das Glas an den Alten zurück und ging hinaus. In der Tür drehte er sich noch einmal um und fragte: »Wie kam
     er zu Ihnen?«
    »Eine Empfehlung.«
    »Von wem?«
    »Von einem Stammgast.«
    »Wie heißt der Gast?«
    »Wir kennen unsere Gäste nicht mit Namen.«
    Lamartine war verärgert, er spürte immer, wenn man ihm nicht helfen wollte, und es kränkte ihn jedesmal. Er ging grußlos hinaus,
     überquerte die Straße und setzte sich in ein kleines Bistro, von dem aus er das »Le canard« im Blick hatte. Er bestellte Kaffee,
     obwohl es eigentlich schon zu spät dafür war und er fürchten mußte, nachts nicht einschlafen zu können. Aber nach dem Cognac
     tat ihm der Magen weh, und nach dem Ärger mit dem Alten war ihm kalt.
    Schon der erste Schluck Kaffee tat Wunder. Lamartine schien innerlich aufzutauen, er lehnte sich zurück und entspannte sich.
     Die Uhr auf dem Kirchturm von St. Médard am Ende der Rue Mouffetard schlug sechs Uhr abends. Seit er auf seinem Platz saß,
     hatte niemand das Restaurant »Le canard« betreten.
    Lamartine trank die kleine Tasse Kaffee bis auf einen Rest Satz aus, in dem er ein Zuckerstückchen auflöste. Dann winkte er
     dem Kellner. Der Mann kam sofort.
    »Noch einen Kaffee!«
    Es dauerte keine Minute, bis der Kellner das nächste dampfende Tässchen brachte. Lamartine hielt seinen Ärmel fest. »Ich habe
     eine Frage«, flüsterte er, als der Mann sich zu ihm herunterbeugte. »Kann man bei Ihnen Arbeit bekommen?« Der Mann machte
     seinen Ärmel los, schüttelte heftig den Kopf und nahm die leere Tasse vom Tisch. »Und da drüben?« fragte Lamartine.
    »Sind Sie Kellner?«
    »Koch.«
    Der Mann schien Mitleid mit ihm zu haben. Er sah ihn eine Weile an, dann erklärte er: »Suchen Sie sich was anderes! Es wird
     doch jetzt sicher vieles wieder aufgebaut in der Stadt   ...«
    »Köche werden immer gebraucht!«
    Der Mann grinste mitleidig. »Aber doch nicht in diesen Zeiten. Wer kann sich denn heutzutage leisten, essen zu gehen?«
    »Der Laden da drüben sieht mir nicht so aus, als würden die am Hungertuch nagen.«
    »Die haben seit Wochen geschlossen!« erklärte der Kellner wütend und ging zum Tresen zurück.
    Lamartine verbrannte sich den Mund, als er zu hastig an dem Kaffee nippte. Er sprang auf und wischte sich mit dem Ärmel seines
     Überziehers über die schmerzenden Lippen. »Was glauben Sie, wovon die da drüben leben?« fragte er den Kellner.
    Der Kellner zuckte müde mit den Achseln. »Irgend etwas werden sie schon drehen«, antwortete er schlechtgelaunt. »Was geht’s
     mich an – ich habe hier mein Auskommen. Und es ist niedrig genug, die Leute gehen nicht mehr gerne ins Café, seit die Deutschen
     in der Stadt sind. Sie verkriechen sich in ihre Häuser und schließen die Augen vor der Schande   ...«
    Lamartine hatte keine Lust, sich das Gejammer des Kellners anzuhören. Er legte die Münzen abgezählt auf den Tresen, grüßte
     mit einem Kopfnicken und ging hinaus auf die Straße.
    Immer noch waren in der Luft Schwaden des scharfen, brenzligen Geruchs, der sich seit den großen Bränden in Saint-Denis über
     ganz Paris gelegt hatte. Lamartine verzog sein Gesicht vor Ekel, sein Magen verkrampfte sich, schon wieder quälte ihn Sodbrennen.
     Er glaubte, im leichten Südwind angekohltes Menschenfleisch zu wittern.
    Es war schon eine Weile her, daß die Deutschen die Stadt beschossen hatten. Aber seit Lamartine gehört hatte, daß in der daraufhin
     entstandenen Feuersbrunst Menschen

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