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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Er schien darauf nicht ernsthaft eine Antwort zu erwarten, denn er fuhr sehr schnell in einem sachlicheren Ton fort: »Bismarck
     muß sich mit aller Kraft gegen den Kaiser wehren. Der verachtet ihn. Stellen Sie sich das vor! Unser Kaiser fühlt sich – zu
     Recht – als eine Person von epochaler Bedeutung, und er redet nur noch in ganz großen historischen Zusammenhängen. Einen Krauter,
     der im Hintergrund mit harter Hand die Geschäfte ordnet, will er nicht dabeihaben. Er denkt halt an den guten Eindruck. Was
     ich sagen will, Lamartine: Bismarck kann mir nicht helfen, er muß sich erst selbst helfen. Alle anderen vermeintlichen Freunde
     haben sich von mir abgewandt. Sie wissen ja, wie das ist, wenn man höheren Ortes seine Gönner verliert   ... Geblieben sind nur eine Handvoll einfacher Menschen, die mir aus persönlichen Gründen ergeben sind. Aber selbst denen
     kann ich nicht vertrauen. Nur einer kann mich noch retten: Sie, Lamartine!«
    »Ich bin alles andere als Ihr Freund!« schrie Lamartine auf. »Und Sie wissen selbst, daß ich die weite Reise nur gemacht habe,
     um Sie für den Mord an Gaston Franc zur Verantwortung zu ziehen. Wenn Sie jetzt im Gefängnis sitzen, erfülltmich das mit Genugtuung!« Angesichts des verbrühten Armes war das hart, aber Stiebers Großspurigkeit hatte Lamartine herausgefordert.
    »Sie sind nicht ganz ehrlich, Lamartine – wie übrigens alle Idealisten. Aber ich verzeihe Ihnen gerne, denn Sie gehören zu
     einer Spezies, die nicht mehr lange auf unserer Erde wohnen wird. Leider!«
    »Sie vergessen Ihre Situation, Stieber!«
    »Keineswegs. Ich vergesse niemals meine Situation. Glauben Sie mir: Idealisten wie Sie wird es bald nur noch in Büchern geben.
     Das nächste   ... das zwanzigste Jahrhundert wird das erfolgreichste Jahrhundert unserer Geschichte werden. Die Pragmatiker werden die Macht
     übernehmen. Es wird nicht mehr an Symptomen herumgedoktert, es wird keine Politik mehr nach moralischen Lehrsätzen gemacht.
     Da, wo die größte Macht sich sammelt, wird auch die größte Humanität herrschen. Alleine rückhaltlose staatliche Macht bewahrt
     den einzelnen davor, erschlagen oder versklavt zu werden. Sie machen sich keine Vorstellung davon, was für große wirtschaftliche
     Aufgaben auf uns warten. Dafür brauchen wir gleichwertige Bürger. Alles wird nach den Gesichtspunkten der Nützlichkeit geordnet
     – einen humaneren Gesichtspunkt gibt es nicht, Lamartine. Es ist unnütz, Menschen zu töten, wenn man sie als Bürger braucht.
     Es ist aber auch unnütz, Menschen durch moralische Normen einzuschränken, wenn sie sich frei bewegen müssen, um ihren Pflichten
     nachzukommen. Es ist ebenso unnütz   ...«
    »Verzeihen Sie«, unterbrach ihn Lamartine. »Aber Sie wirken lächerlich!«
    Stieber blieb für einen Augenblick die Luft weg. Lamartine nutzte die Situation: »Lassen Sie das Räsonieren, sagen Sie mir
     lieber, warum Sie hier einsitzen!«
    Stieber antwortete so hastig, daß seine Stimme sich überschlug: »Es handelt sich um eine Verschwörung   ... eine billige Hinterzimmerverschwörung. Die Herrschaften haben gewartet,bis ich in Ungnade gefallen bin. Dann haben sie zugeschlagen. Etwas Unglaubliches   ... etwas Unfaßbares ist passiert, Lamartine. Das versetzt sogar die hartgesottenen Berliner in Erstaunen.« Stieber war aufgesprungen,
     er durchschritt die winzige Zelle in zwei Schritten und schimpfte dabei halblaut. »Sie haben mich vorgestern aus meinem Haus
     in der Alexanderstraße raus verhaftet – wie einen Schwerverbrecher. Mitten in der Nacht   ...Draußen regnete es in Strömen. Es war wie in einer Abenteuerschwarte. Sie trugen schwarze Zivilumhänge. Der Anführer sagte:
     ›Es tut mir leid, Herr Direktor, aber wir haben Anweisung, Ihre Wohnung zu durchsuchen.‹ Sie rissen die Bücher und die Kleider
     aus den Schränken. Sogar ein Brief an meine Haushälterin, in dem ich die Frau bat, meine Wäsche auszubessern, wurde konfisziert
     – und mich begleitete ein Posten zum Klosett.«
    Es wurde mehrmals gegen die Zellentür geschlagen. Männer lachten, dann entfernten sich Schritte. Stieber donnerte mit beiden
     Fäusten gegen die Tür und schrie heiser: »Wartet nur – wartet, bis ich wieder raus bin!« Draußen im Flur lachte man ihn aus.
    »Was hat man bei Ihnen gesucht?« fragte Lamartine ruhig.
    »Gestern hat mich Oberstaatsanwalt Schwarck hier besucht. Er war ausgesucht freundlich – obwohl er in der Stadt als besonders
     rabiater

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