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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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der durch seine Schreibertätigkeit bereits die Arbeitsweisen der Polizei kannte, ein.
    Obwohl er im Deutschland des 19.   Jahrhunderts ein wichtiger Mann war, ist von Wilhelm Stieber nur ein Bild überliefert. Er wirkte im verborgenen und hütete
     sich – wie seine Nachfolger im 20.   Jahrhundert – vor ungesunder Publizität. Das Portrait, das ihn ohne Verkleidung und Maske zeigt, wurde in den mittleren Jahren
     verfertigt. Es zeigt einen sehr korrekt gekleideten, etwas scheu und verkniffen wirkenden Mann mit einer Halbglatze und einer
     hochgekämmten Künstlerlocke. Stieber trägt eine kleine Brille mit ovalen Gläsern und einen mächtigen Schnauzbart, der vor
     allem die Aufgabe zu haben scheint, sein Gesicht zu kaschieren. Am Halstuch hängt ein einfacher Orden, der russische Stanislaus-Orden
     mit Stern (ihm 1867 vom Zar Alexander II., seinem Nebenarbeitgeber, verliehen), am Revers des Bratenrockes ein zweiter, ebenso
     einfacher: das Ritterkreuz. Stieber macht auf diesem Bild den Eindruck eines spröden preußischen Beamten, der sich seine Auszeichnungen
     mit Fleiß und Pflichtgefühl in einer staubigen Amtsstube ersessen hat.

 
     
    2.   Kriminalistische Erfolge
     
    Stieber hatte Glück. In kürzester Zeit löste der 26jährige zwei spektakuläre Fälle: Er überführte alle Täter eines Kapitalverbrechens,
     das im Hause eines Bankiers verübt wurde, und bereitete die Verhaftung einer Räuberbande vor, die seit Monaten die Wälder
     um Berlin unsicher machte und auch durch eine Kompanie Soldaten nicht ausgehoben werden konnte.
    Was dem heutigen Leser bei Stiebers frühen Kriminalfällen auffällt, ist die Unbefangenheit und Sorglosigkeit, mit denen er
     die Aufklärungsarbeit angeht. Stieber, der in seinen lange unveröffentlicht gebliebenen Memoiren (›Spion des Kanzlers‹) jegliches
     Pathos vermeidet und seine eigenen Verdienste zwar nie verschweigt, sie aber nur in der sachlichen Manier eines bedächtigen
     Handwerkers beschreibt, widmet sich einem Fall – und schon fallen ihm wie in einem reißerisch geschriebenen Krimi
en passant
alle Beweismittel in die Hände: »Während eines Spazierganges in dem erwähnten Waldgebiet fand ich mich plötzlich vor einer
     durch Baumäste versteckten Erdhöhle, aus welcher lautes Schnarchen drang. Als ich in die Höhlung spähte, schliefen darin die
     seit so langer Zeit gesuchten Marodeure, vollzählig beisammenliegend, geräuschvoll den Schlaf der Gerechten oder vielmehr
     Ungerechten.«
    Der Superdetektiv auf dem Waldspaziergang mußte bloß noch die Polizei herbeirufen und die schlafenden Kriminellen überrumpeln
     lassen. So einfach war das damals – behauptet jedenfalls Stieber. Doch der junge Polizist hatte nicht nur mit derart beschaulichen
     Ermittlungen zu tun. Im Fall Tomaschek zum Beispiel kommt er einem Berliner Schneidermeister auf die Spur, der sich mit Hilfe
     eines Arztes für tot erklären und scheinbar beerdigen hatte lassen, um eine Versicherungssumme von 100   000   Talern zu ergaunern. Stieber erfuhr durch einen kleinen ungarischen Ganoven, daß der Schneider in Böhmen lebte. Er ließ das
     Grab Tomascheks öffnen, fand nur ein Bügeleisen und schwere Steine im Sarg, reiste sofort inkognito nach Böhmen und stöberte
     den schwerreichen Versicherungsbetrüger auf.
    Stieber war noch kein Jahr bei der Berliner Polizei und schon eine Legende. Eigentlich ist alles, was folgte, aus diesen beschaulichen
     Anfängen erklärbar – auch wenn es noch so unglaublich klingt. Stieber ging methodisch, unbefangen und unbelastet durch moralische
     oderideologische Rücksichten vor. Das war in einer Zeit, in der sich alle Welt an traditionelle Werte klammerte, höchst ungewöhnlich.
     Man wurde höheren Ortes auf den fleißigen und karriereorientierten Kriminalisten aufmerksam. Wenn man schon einen derart begabten
     Mann zur Hand hatte, warum sollte man sich seiner nicht auch zu anderen als kriminalistischen Zwecken bedienen?
    »Der Staat hat das höchste Recht auf die Individuen   ... deren oberste Pflicht ist es, Bürger dieses Staates zu sein.« So sprach der Philosoph Hegel, der bis 1831 an der Berliner
     Universität unterrichtete (zuletzt sogar als Rektor) und zu einer Art Hausideologe Preußens wurde. Der preußische Staat war
     ein Obrigkeitsstaat, er war der festen Überzeugung, daß er seine Untertanen an die Kandare nehmen mußte. Und er steckte in
     einer Krise   ...
    Stieber: »Am 24.   Februar 1845 empfing ich ein Schreiben des

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