Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman
›Stieber‹ handelt, sind weitgehend historisch verbürgt. Dennoch
gibt es in dem Roman einige (sehr wenige) Personen, für deren historische Existenz der Autor seine Hand nicht ins Feuer legen
möchte. Auch mag es sein, daß gewisse Nebenfiguren des Romans zu der Zeit, in der ›Stieber‹ spielt, in einer der beiden Städte
gelebt haben, ohne sich allerdings jemals über den Weg gelaufen zu sein. Andere wiederum hatten ständig miteinander zu tun,
gingen sich gegenseitig auf die Nerven, haben sich insgeheim gehaßt oder sogar geliebt – obwohl sie im Roman nichts voneinander
wissen. So wiegt eben das eine das andere auf.
Manche Ereignisse klingen wenig glaubwürdig, haben sich aber (im Gegensatz zu anderen, deren Realität auf der Hand zu liegen
scheint) haargenau so abgespielt, wie sie im Roman geschildert werden – mitunter bloß zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt.
Was aber – so muß man als Autor seine potentiellen Kritiker, die Historiker, fragen – sind ein paar Monate, ja ein paar Jahre
vor dem Hintergrund der 125 Jahre turbulenter deutscher und französischer Geschichte, die seit den geschilderten Vorgängen vergangen sind?
Um allerdings durch den erzählerischen Eigensinn nicht allzuviel Verwirrung zu stiften, halten es Verlag und Autor für notwendig,
die historischen Fakten aufzuführen, die im Umkreis von Stiebers Lebengesichert sind (soweit man in Zusammenhang mit einer Geheimdienstler-Vita davon reden kann) – ohne etwas zu verschweigen oder
hinzuzufügen.
1. Biedermeier
Am 23. März des Jahres 1819 geschah in Mannheim ein folgenschwerer Mord. Der Burschenschaftler Karl Ludwig Sand erdolchte den Schriftsteller August von
Kotzebue, der in der breiten Öffentlichkeit als Freund Rußlands und Propagandist der alten, konservativen Mächte galt.
Fünf Monate war das Land von dem Attentat wie gelähmt. Dann setzten die Machthaber ein Zeichen: Auf der Ministerkonferenz
zu Karlsbad beschlossen Preußen und Österreich harte Maßnahmen gegen die liberale Bewegung an den deutschen Universitäten.
Aufgrund der Karlsbader Beschlüsse, die der Deutsche Bund am 20. September 1819 in Frankfurt am Main verabschiedet, werden die Burschenschaften verboten, der Staat kontrolliert die Universitäten, die Zensur
wird eingeführt. Wer die deutsche Einheit öffentlich verlangt, wird ins Gefängnis geworfen. Viele können jahrelanger Kerkerhaft
unter den unmenschlichsten Umständen gerade noch entgehen, indem sie ins Ausland flüchten.
Das Bürgertum reagiert auf seine Weise auf die harten Zeiten, es zieht sich zurück und entwickelt einen zeitgemäßen Lebensstil:
Häuslichkeit und Gemütlichkeit sind angesagt, die kleine Welt ist der neue Lebensraum,über den Tellerrand oder gar ins unruhige
Ausland, wo (in Manchester, Sevilla und Sizilien) schon wieder rebelliert wird, will kaum einer sehen.
Dies ist die Welt, in der Wilhelm Stieber aufwächst.
Wilhelm Johann Carl Eduard Stieber wurde am 3. Mai 1818 in Merseburg als Sohn eines Regionalbeamten und einer englischen Grundbesitzerstochter namens Daisy, angeblich einer direkten
Nachfahrin von Oliver Cromwell, geboren. 1820 zog die Familie nach Berlin, wo der Vater ins preußische Kirchenministerium avancierte. Der junge Stieber wurde ins Gymnasium
»Graues Kloster« geschickt und nach dem Abitur vom Vater zum Theologiestudium gedrängt.
Als Wilhelm Stieber am Abend nach seiner ersten Predigt in derBerliner Hofkirche seinem gerührten Vater gegenüberstand, beichtete er: Der ungehorsame Sohn studierte längst keine Theologie
mehr, die Bibelauszüge, die in seinem Zimmer herumlagen, waren Abschriften von Kommilitonen. Heimlich hatte er sich in der
juristischen Fakultät eingeschrieben und arbeitete, um sich sein Studium zu verdienen, als Aushilfsschreiber bei der Berliner
Polizei. Der fromme Vater schmiß den Sohn aus dem Haus und strich jegliche Unterstützung für dessen Studium.
Stieber hatte sich längst in einer Branche etabliert, die weitab lag von der Welt des biederen Kircheninspektors. Bis 1841 studierte Wilhelm Stieber Jura und Kameralien (Staatswissenschaft) in Berlin, er legte sein Referendariatsexamen mit Auszeichnung
ab, arbeitete mangels väterlicher Unterstützung als Justizgehilfe und bewarb sich 1844 als Kommissar in der neuen Abteilung IV der Berliner Polizei, die für Kriminalfälle zuständig war. Polizeipräsident von Puttkamer
persönlich stellte Stieber,
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