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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Mal zu spüren,
     was alle Agenten nach ihm oft leidvoll erfahren mußten: Der Staat läßt sie im Regen stehen, wenn er selbst unter Druck gerät.
     »Die ganze Schuld hierfür wurde auf mich gewälzt, ohne daß die Regierung es für notwendig erachtete, den wahren Sachverhalt
     auch nur mit einem Wort zur öffentlichen Kenntnis zu bringen   ...«
    Das ist nicht die einzige Lektion in Sachen Staatsraison, die Stieber zu lernen hat. Ein Vorfall im Berlin des Revolutionsjahres 1848 beleuchtet geradezu satirisch die Winkelzüge des unter Druck geratenen Regimes. König Friedrich Wilhelm IV. wollte, nachdem
     seine Regierung schon im März abgedankt hatte, mit einem verzweifelten Zeichen die revolutionären Massen Berlins auf seine
     Seite ziehen. Und so geschah etwas Ungeheuerliches: Die revoltierende Berliner Bevölkerung sah eines Tages den König mit dem
     Wahrzeichen der Aufrührer, mit den republikanischen Farben Schwarz-Rot-Gold am Oberarm, durch die Stadt reiten. Stieber erlebte
     den denkwürdigen Augenblick als Passant mit: »Bloß durch Zufall kam ich gerade recht, als der einsame königliche Reiter während
     seiner ebenso gefährlichen wie weltfremden Unternehmung von immer mehr lärmendem Volke umringt ward und endlich Gefahr lief,
     vom Pferd gestoßen zu werden. Kurz entschlossen sprang ich hinzu, entriß dem anstürmenden Führer einer lärmenden Rotte sein
     schwarz-rot-goldenes Banner und bahnte, dessen Tuch hin und her schwenkend, dem königlichen Pferde mit Mühe und Not eine Gasse
     durch die immer wilder dagegen anbrandende Volkesmenge.«
    Stieber rettete den Monarchen hinters eiserne Schloßtor. Doch dort erwartete den todesmutigen Polizisten eine peinliche Überraschung.
     Der König fiel bewußtlos vor Angst vom Pferd, seine Lakaien trugen ihn ins Schloß und zogen ihm den falschen Bart und eine
     Perücke ab: Ein bedauernswerter Schauspieler des Hoftheaters war in die Rolle des Möchtegern-Bürgerkönigs gezwungen worden.
    Stieber war in den Jahren zwischen 1845 und 1850 nicht nur als Kriminalist tätig, er arbeitete auch sehr erfolgreich als Strafverteidiger (wobei er wertvolle Kontakte zur
     Unterwelt knüpfte) und redigierte die vom Polizeipräsidium herausgegebene Zeitung. Als Redakteur hatte er Einblick in die
     Personalakten der Polizei, was schnell zu einem Skandal führte. Man bezichtigte Stieber, Unterlagen der Polizei zum Vorteil
     seiner Mandanten genutzt zu haben. Ein entsprechendes Verfahren wurde jedoch zu seinen Gunsten entschieden.
    1850 wurde Stieber als Assessor beim Polizeipräsidenten eingestellt und bekam 600Taler Jahresgehalt. Angeblich für sein Schweigen
     über den Vorfall vorm Schloß wurde Stieber jedoch schnell zum Direktor der Berliner Kriminalpolizei befördert. (Das ist seine
     Version; der polnische Spionage-Historiker Janusz Piekalkiewicz berichtet, daß er bloß Polizeirat wurde.) Lange jedoch konnte
     sich Stieber in seinem neuen, repräsentativen Amt nicht ausruhen. Seine Talente werden andernorts gebraucht. Wilhelm Johann
     Carl Eduard Stieber muß sich wieder in einen gewissen Herrn Schmidt verwandeln.
    Der König persönlich schrieb in einer Aktennotiz: »Ich halte Stieber für die Persönlichkeit, das Gewebe der Verschwörung aufzudekken
     und uns das lange ersehnte Exempel eines zerschlagenen und bestraften Komplotts zu verschaffen. Lassen Sie Stieber sein Meisterstück
     machen. Ich halte meinen Gedanken für folgenreich und wünsche seine sofortige Realisierung. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren.
     Verbrennen Sie dieses Blatt. Vale! Friedrich Wilhelm.«
    Was der preußische König Friedrich Wilhelm IV. im Winter 1850 als Verschwörung bezeichnete, war erst einmal nichts anderes als eine rege Korrespondenz, die ein in London lebender Redakteur
     aus dem Rheinland mit Mitgliedern eines »Geheimbundes der Kommunisten« in Preußen führte.
    Stieber selbst hatte längst Fühlung mit den sogenannten Verschwörern aufgenommen. Bei einem Schneidergesellen, den er in Berlin
     wegen fehlender Paßdokumente hatte verhaften lassen, fanden sich Hinweise auf die Existenz eines »Internationalen Kommunistenbundes«,
     dessen Sitz in London war. Der Name des Schneiders: Nothjung. Der Name des Redakteurs in London: Karl Marx.

 
     
    3.   Spitzeldienst
     
    Stieber bekam einen neuen geheimdienstlichen Auftrag, und er schien froh darüber zu sein, wieder Gelegenheit zu einem Ausflug
     aus dem langweiligen Berliner Polizeialltag in die Politik zu haben:

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