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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Reden der Verwaltungsbeamten über Hängen, Erschießen und Niederbrennen kann ich weniger
     gut ertragen als das Schwadronieren der Militärs. Franc arbeitete in der Küche, und in mir schrillte eine Alarmglocke: Ich
     kannte den Menschen aus einem unerfreulichen, gefährlichen Zusammenhang. Bevor mir überhaupt einfiel, daß ich seiner Partisanengruppe
     in den Wäldern vor Versailles in die Hände gefallen war, ließ ich ihn festnehmen. Im Verhör stritt er jede kriegerische Absicht
     ab. Als ich aber in seiner Kleidung den Freipaß fand, wußte ich sofort, daß ich einen
partisan de guerre
vor mir hatte. Eine Leibesvisitation brachte dann ein Fläschchen mit übelriechender Flüssigkeit zutage. Angeblich hatte ein
     Arzt ihm das gegen Schnupfen verordnet – ein Hilfskoch, der unentwegt niesen muß, werde in jeder Restaurantküche sofort wieder
     nach Hause geschickt. Ich schickte meinen Adjutanten mit der Phiole zum nächsten Apotheker. Als er zurückkehrte, schrie er
     schon in der Tür: »Gift! Gift! Genug für ein ganzes Diner!« Den Festgenommenen hatten wir gefesselt. Als er die Schreie hörte,
     sprengte er die Fesseln. Er sprang auf den Adjutanten zu, entriß ihm das Gift und schluckte es, ohne daß einer von uns ihn
     hätte daran hindern können. Sofort fiel er zu Boden und rührte sich nichtmehr. Als ich ihn untersuchte, entdeckte ich, daß seine Augäpfel blutrot nach oben gedreht waren. Der Attentäter war tot.
     So war’s. Glauben Sie mir, Lamartine! Und nun haben wir auch seine Hintermänner, alle auf einen Schlag!«
    Lamartine wurde schwindelig, er fürchtete, ebenso wie Gaston Franc hinzuschlagen und die Augen zu verdrehen. Eigentlich wünschte
     er es sich auch: Ohne Schmerz und ohne weiterhin das aushalten zu müssen, was um ihn herum vorging, aus dem Leben zu scheiden.
     Dennoch hörte er sich Stieber fragen: »Und wie ist die Leiche in den Bois de Boulogne gelangt?«
    Stieber breitete die Arme aus. »Sie wissen doch selbst, wie brisant die Lage in der Stadt derzeit ist. Ein toter französischer
     Koch auf einem Diner der Deutschen – das hätte ein Wiederaufflammen des Krieges bedeuten können. Meinetwegen sollen Ihre Landsleute
     sich auf den Barrikaden gegenseitig die Schädel einschlagen – aber um Gottes willen keine neuen Kriegshandlungen gegen Deutschland.
     Ich zog dem toten Gaston Franc also Zivilkleidung an – ein Toter in der Kochuniform hätte angesichts des Hungers in der Stadt
     die Phantasie Ihrer Landsleute zu noch gefährlicheren Kapriolen angestachelt als eine politische Leiche auf dem Diner des
     Grafen Henckel von Donnersmarck. Wir setzten den Toten aufrecht in meinen Wagen und kutschierten ihn – obwohl der Rappe vor
     der Witterung scheute – aus der Stadt hinaus in den Bois de Boulogne. Dort haben Sie ihn gefunden.«
    Lamartine suchte nach einem Halt, und als er ins Leere griff, verlor er endgültig die Balance und sank nach hinten. Stieber
     konnte ihm gerade noch einen Stuhl unterschieben. »Ich glaube Ihnen nicht, Stieber. Sie haben ihn umgebracht!«
    Stieber wurde ungehalten: »Seien Sie nicht kindisch! Als lebender Zeuge wäre er unendlich viel mehr wert gewesen.«
    Lamartine bat um ein Glas Wasser. Stieber wies einen zivilen Assistenten an, dem Kriminalpolizisten etwas zu trinken zu bringen,
     was dieser auch mit einer völlig unangebrachtenHöflichkeit tat. Lamartine trank das Glas in einem Zug leer, erst als er es absetzte, bemerkte er, daß es Wein war, der ihm
     im Magen brannte und ihm sofort in den Kopf stieg. Er versuchte, von dem Stuhl hochzukommen, verharrte aber kurz in einer
     gekrümmten Position und ließ sich dann zurückfallen. »Sie haben mich belogen und betrogen. Ich sollte Ihnen die Widerständler
     ans Messer liefern. Franc war nur der Köder, mit dem sie mich foppten. Sie haben mich zum Verräter gemacht!«
    Stieber schwieg erst, dann entgegnete er gelassen: »Heute kommt Ihnen das so vor. Morgen denken Sie anders darüber, Lamartine.«
     Er ging zum Regal hinter dem Tresen, sah sich um, nahm eine Flasche heraus, entkorkte sie und bot sie Lamartine an. »Betrinken
     Sie sich, danach sehen Sie klarer!«
    Lamartine setzte sich die Flasche an die Lippen und trank in kräftigen Schlucken, obwohl sein Magen weiter brannte wie eine
     offene Wunde. Als er die Flasche absetzte und sich den Mund mit dem Ärmel abwischte, verließen die letzten Soldaten das Restaurant.
     Diesmal schaffte es der Inspektor, sich zu erheben. Er hielt die Flasche mit

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