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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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seitlich nach unten ausgestrecktem Arm und schwankte
     dabei wie ein Trinker. »So nehmen Sie mich wenigstens fest, Sie Schwein!« schrie er hinter Stieber her. Aber der war schon
     draußen.
     
    Lamartine wunderte sich, daß er am nächsten Morgen trotz seines schweren Kopfes den Weg ins Büro schaffte. Dabei wußte er
     nicht einmal, was er dort wollte. Bis kurz vor Mittag saß er unbeweglich an seinem Schreibtisch und wartete. Dann öffnete
     sich die Tür, und der Kriminaldirektor trat ein.
    Der Alte grüßte nicht, er trat nur vor Lamartine hin, stieß seine beiden Fäuste auf die Kante des Tisches und sagte: »Sie
     sind hiermit vom Dienst suspendiert. Die Weisung dazu erfolgt von allerhöchster Stelle. Sowohl der Kriegsminister als auch
     der Innenminister sind daran beteiligt. Ich nehme an, daß auch ich heute noch demissionieren muß!« Der Ton des Direktors war
     überraschend gelassen, von seiner Angst vorpolitischen Verwicklungen war nichts mehr zu spüren. Lamartine schien es fast, als sei der Alte erleichtert, daß alles so
     gekommen war.
    »Ich bitte um die Erlaubnis, den Fall Franc ordnungsgemäß zu Ende führen zu dürfen«, sagte Lamartine. »Danach werde ich meine
     Entlassung beantragen.«
    Jetzt erst schrie der Kriminaldirektor, und sein Hals drohte dabei den Hemdkragen zu sprengen: »Alle Untersuchungen in dieser
     Sache sind Ihnen von den Herren Ministern ausdrücklich untersagt. Im übrigen wird geprüft, ob man Anklage gegen Sie wegen
     Landesverrats erheben soll. Obwohl niemand daran glaubt, daß das möglich sein wird, solange die Deutschen im Land sind. Wie
     man hört, haben Sie unter den Besatzern einflußreiche Gönner   ...«
    »Das ist eine Verleumdung!« protestierte Lamartine schwach.
    Der Kriminaldirektor verbat sich den Protest mit einer Handbewegung. »Ich möchte, daß Sie sofort das Gebäude verlassen. Man
     legt höheren Ortes Wert darauf, daß ich Ihnen eines klarmache: Unter normalen Umständen wären Sie noch an Ihrem Schreibtisch
     verhaftet worden. Daß dies nicht geschieht, hat etwas mit der politischen Situation zu tun. Sobald sich die Zustände in unserem
     Land wieder normalisiert haben, wird man auch mit Ihnen normal verfahren. Sie sollten die Frist bis dahin als eine Gnade ansehen.
     Wenn Sie noch einen Funken Ehre im Leib haben, so ziehen Sie die nötigen Konsequenzen und ersparen Ihrem Land einen öffentlichen
     Prozeß. Wir haben uns verstanden? Nur aus diesem Grund lasse ich Ihnen Ihre Dienstwaffe.«
    Lamartine erhob sich und nahm eine beinahe militärische Haltung an.
    Der Kriminaldirektor ging ohne Gruß hinaus. Die Tür ließ er weit offen – für Lamartine.
     
    Vom Präsidium aus ging Lamartine, ohne auf Verfolger zu achten, zum Hôtel de Ville, wo er beim französischen Concierge verlangte,
     zum Büro des Wilhelm Stieber vorgelassen zu werden. Der Concierge sah ihn groß an und fragte, ob er denn nicht wisse, daß
     heute der deutsche Kaiser samt Gefolge Paris verlassen habe – wie es im Waffenstillstand angekündigt worden war. Es hielten
     sich nur noch einige deutsche Kampftruppenverbände in Paris auf.
    Als Lamartine in Richtung Marais wanderte, verstand er, warum der Kaiser und sein Kanzler einen Teil ihrer Truppen zurückgelassen
     hatten: Das gehörte zum Arrangement mit der Regierung. Von der Seine her war schwerer Geschützdonner zu hören, das konnten
     nicht die Kanonen der zerschlagenen französischen Armee sein, dazu waren die Schläge zu mächtig, das war deutsches Militär.
     Und es schoß im Auftrag der Regierung Thiers auf die Barrikaden der Pariser Kommune.
    Am Nachmittag eilte Inspektor Lamartine zu der kleinen Bank in seiner Straße und hob alles Geld ab, das er besaß. Er brauchte
     dazu fast zwei Stunden, denn die Bürger standen Schlange – alle wollten ihre Konten auflösen, und die Bank hatte Schwierigkeiten,
     genügend Bargeld beizuschaffen. Dann ging er fünf Straßen weiter, bis er ein offenes Postamt gefunden hatte, schrieb eine
     Karte an seine Frau, steckte sie zusammen mit der Hälfte des Geldes in einen Umschlag, den er an die Adresse der Tante Amelie
     adressierte, und gab die Sendung als Eilbrief auf.
    Als er später über die Brücke Pont Louis-Philippe die Seine in Richtung der Île St. Louis überquerte, blieb er auf der Mitte
     der Brücke stehen, griff in seine Manteltasche, zog seine Dienstwaffe hervor und warf sie ins Wasser. Vielleicht hätte er
     sie noch gut brauchen können, aber der Inspektor wollte

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