Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman
bezahlt, Bjerregaard. Ich will wissen, was er getan hat, wie er zu dem geworden ist, was er
heute ist ... Ich kenne Stieber persönlich, ich weiß, welche Funktion er innehatte. Das ist keine Funktion, die man mit Schöngeistern
besetzt. Also los!«
Bjerregaard machte ein gequältes Gesicht, er sah Udo an, der der Erzählung ohne jede Regung gefolgt war, dann fuhr er fort:
»Ich sagte schon, daß Konrad mich als Pedell-Gehilfe eingeführt hatte ...«
»Ja! Das sagten Sie bereits!«
»Ich tat diese Arbeit gerne. Brachte sie mich doch ständig mit den Studenten in Berührung. Ich nahm alles, was sie sagten,begierig auf. Ich wollte lernen, wollte eindringen in die Welt des Geistes. Stieber verstand das sofort, im Grunde waren wir
uns sehr ähnlich – wenn das auch etwas vermessen klingt. Stieber nahm mich überallhin mit, wo sich Studenten trafen und miteinander
diskutierten oder feierten. Natürlich erreichte er es nicht, daß ich als ein Gleicher unter Gleichen angesehen wurde. Deshalb
mußte ich bei den Zusammenkünften gewisse Dienste übernehmen ...«
»Was waren das für Dienste?« wollte Lamartine wissen.
»Das Zapfen und Auftragen des Bieres, das Reinigen der Stiefel, auch mal den einen oder anderen im Hinterzimmer zu rasieren,
die Kneipe und den Paukboden sauberhalten, für den ordentlichen Zustand der Paukbrillen und des Paukwichses sorgen ...«
»Was?« fragte Lamartine.
»Eine deutsche Sitte«, erklärte Udo schnell. »Die Studenten fechten miteinander, das nennt man Pauken.«
Lamartine fürchtete schon, weitere Abschweifungen verursacht zu haben, aber Bjerregaard fing sich schnell wieder: »Ab und
zu kam es zu Streitereien. Wenn ein Kommilitone über den Durst getrunken hatte und sich mit mir anlegte ... weil er wußte, daß ich mich nicht wehren konnte. Aber Stieber hat solche Rabauken immer sehr schnell zur Raison gebracht ...«
»Wie?«
»Er appellierte an ihr Ehrgefühl. Das waren doch durch die Bank Söhne aus angesehenen Familien.« Bjerregaard seufzte. »Dann
geschah das Entsetzliche. Es gab da einen Studenten namens Karl Hermann Schulz. Er war stark und klug, bei den Saufereien
immer vorneweg – laut und nicht unter den Tisch zu kriegen. Schulz studierte Kameralien. Wie Stieber. Ich glaube, er ist jetzt
Weinhändler in Frankfurt an der Oder. Obwohl er hervorragende Noten hatte, war es ihm nicht vergönnt, in den Dienst des Staates
zu treten. Er wurde relegiert – im Zuge der tragischen Ereignisse.«
Bjerregaard machte eine Pause, um Lamartine Gelegenheit für eine Rückfrage zu geben. Aber Lamartine dachte nicht daran, den
Schweden gerade jetzt, wo er den richtigen Faden aufgenommen hatte, zu unterbrechen.
»Ich mochte Schulz – er war ein mutiger und sehr impulsiver Junge, dazu auch noch von einer seltenen natürlichen Klugheit.
Und er hatte vor nichts Angst. Ja, ich gebe zu, daß ich in Schulz verliebt war. Er war gewachsen wie ein griechischer Gott,
und niemals habe ich ihn in schlechter Laune gesehen. Ich tat alles, um seine Gunst zu gewinnen. Die anderen bemerkten das
und schmunzelten darüber. Sie sagten: Bjerregaard, du wirst kein Glück bei ihm haben, er hat bloß die Dämchen im Kopf. Stieber
war darüber sehr erzürnt. Er mochte Schulz nicht, er mochte keine Menschen, die in den Tag hineinlebten wie Karl Hermann Schulz.
Stieber warnte mich vor ihm, er sagte: Schulz wird dich ins Unglück stürzen, wenn du dich weiter an ihn hängst!«
»Er wird eifersüchtig gewesen sein!« sagte Lamartine laut.
Bjerregaard riß die Augenbrauen hoch. »Nein, das war er ganz bestimmt nicht. Er war besorgt. Und er war zu Recht besorgt.
Schulz nahm mich immer öfter zu Zusammenkünften mit Freunden mit, mit denen Wilhelm Stieber keinen Umgang pflegte. Es handelte
sich um Studenten der Medizin. Ziemlich verwegene Burschen, die derbe Späße in der Anatomie trieben und schon einen Batzen
Geld verdienten, indem sie für Ärzte in den Berliner Krankenhäusern Dienste verrichteten, zu denen diese sich zu schade waren.
Vor allem aber waren diese Kommilitonen hinter den Frauen her. Zwar verspürte ich nicht das geringste Interesse mitzuhalten,
aber es interessierte mich sehr, was sie an den Weibern fanden und wie sie sich ihnen gegenüber verhielten – auch wenn sie,
sobald Frauenzimmer in der Nähe waren, besonders rüde mit mir umsprangen und schlimme Witze über mich rissen, um damit Eindruck
zu schinden. Schulz allerdings tat
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