Stiefbruder - Liebe meines Lebens
mein Mund auf seinem landete, rief jemand meinen Namen.
Rasch prallten wir auseinander und ich taumelte so gefährlich zurück, dass ich beinahe über meine eigenen Füße fiel. Jakob fing mich auf, indem er mich fest am Oberarm packte.
Es war einer meiner Lehrer – ehemaligen Lehrer – der mir für meinen späteren Lebensweg Wünsche mitgeben wollte. Sein Blick wanderte auffällig intensiv zwischen Jakob und mir hin und her. Ob er etwas ahnte? Immerhin standen vor ihm zwei Kerle, die sich beschämt rasch die Wangen trockneten und zwischen denen die Anziehung, die Spannung so intensiv war, dass es verwunderlich war, dass nicht überall Autoradios und Motoren ansprangen. Der Lehrer hielt seine Rede verdächtig knapp, verlor zwischendurch den Faden, und als sich Jakob als mein Stiefbruder vorstellte, grinste er so komisch, als glaube er kein Wort. Er verabschiedete sich hastig und drehte sich beim Weg zu seinem Auto öfter um. Unablässig starrte er zu uns her, als er seine Unterlagen verstaute, einstieg, ausparkte und endlich weg fuhr. Ein Wunder, dass er keinen Unfall verursachte.
„Hast du Pläne?“, fragte Jakob und lächelte mich an.
„Pläne?“, murmelte ich entgeistert. In meinem Leben hatte dieser Managerkram allenfalls eine satirische Komponente – ich lebte von einem auf den anderen Tag, tat nur das nötigste, um keine Probleme zu bekommen.
„Eine Feier oder dergleichen?“, präzisierte er.
„Nein, gar nichts“, gab ich wahrheitsgemäß von mir.
„Und Dylan?“
„
Wer?“,
fragte ich irritiert, hatte in diesem Moment wirklich keine Ahnung, wovon er da sprach, was oder wen er meinte. Auf seinem Gesicht entstand ein Schmunzeln, dann begann er wunderbar zu Lachen.
„Hunger?“, fragte er und hob seine Augenbrauen.
Nein, zumindest nicht auf Nahrungsmittel. Dennoch nickte ich.
Der Raum im Wald [2002]
Jakob parkte vor einem ähnlichen Nichts, wie damals im Wolkenbruch, nur dass es hier auch Bäume gab, und kein einziges Wölkchen am Himmel. Ein weites Weizenfeld schmiegte sich goldocker an einen dunkelgrünen Nadelwald, darüber schwebte der blitzblaue Himmel –
nett
.
Was
wollte Jakob hier?
„Da gibt es kein Restaurant“, erklärte ich ihm das Offensichtliche, und um zu unterstreichen, was ich eben festgestellt hatte, machte ich eine ausladende Geste in Richtung Windschutzscheibe. Dass hier kein Gebäude stand müsste ihm aufgefallen sein. Doch Jakob schmunzelte bloß, befreite sich von seinem Gurt und stieg aus.
Vielleicht musste er ja nur pissen, dachte ich und blieb sitzen. Hinter mir klappte der Kofferraum und im nächsten Moment klopfte jemand gegen die Scheibe der Beifahrertür. Jakob hatte eine Decke unter den Arm geklemmt und an seiner Hand baumelte ein bunter, prall gefüllter Plastikbeutel. Offenbar hatte er einen Supermarkt ausgeräumt und plante, den Inhalt gemütlich auf einer Decke in der Natur zu inspizieren. Na denn! Mit einer vagen Idee, was wir zwei im Wald allein
noch
alles tun könnten außer essen, stieg meine Erektion an und ich aus dem Auto.
„Komm mit!“, forderte er, nachdem er mich schamlos von Kopf bis Fuß gemustert hatte, drehte sich um und stapfte durch das hohe Gras davon. Mir war egal wohin er lief, viel bekam ich von der Umgebung sowieso nicht mit, da ich mich auf seine Rückansicht konzentrierte. Das weiße Shirt lag straff um Schultern und Oberarme, und locker auf seinen schmalen Hüften. Die beigefarbige Cargohose betonte seinen knackigen Hintern. Das war dann auch jene Stelle, von der ich meinen Blick nicht mehr abwenden konnte, bis er endlich stehenblieb.
Erstaunt sah ich mich um. Jakob hatte mitten im Wald eine winzige Lichtung ausfindig gemacht die im Schatten lag und auf der sattes Gras wuchs, das unseren Platz schön weich machen würde. Es war idyllisch hier, und die dichten Nadelbäume, die gedrängt um die kleine Wiese standen, ließen den Platz wirken wie einen Raum. Ein gemütliches Zimmer in der Natur, unter freiem Himmel. War es reiner Zufall, dass Jakob auf diesen Ort gestoßen war, oder hatte er davon gewusst?
„Hier okay?“, wollte er wissen. Er konnte Fragen stellen!
„Ich wohne seit fünf Jahren in dieser Gegend, aber ich wusste nicht, dass es hier so ein wunderschönes Plätzchen gibt“, gab ich ehrlicherweise von mir.
„Gut“, meinte Jakob, stellte den schweren Plastiksack ab, faltete die Decke auseinander und schüttelte sie kräftig. Unter einem Luftkissen gewölbt sank sie langsam und fast perfekt ins Gras. Mein
Weitere Kostenlose Bücher