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Stiefkinder der Sonne

Stiefkinder der Sonne

Titel: Stiefkinder der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund Cooper
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– ein Huhn, das sich selbst das Todesurteil unterschrieben hatte, weil es das Eierlegen verweigert hatte –, und er war voller Staunen darüber, daß es möglich war, eine so alltägliche Handlung wie das Rupfen eines Huhns in eine Reihe von Bewegungen zu verwandeln, die zugleich Grazie und Charme besaßen und ein merkwürdig symbolisches Versprechen enthielten.
    „Über die Zukunft der Menschheit“, sagte Francis düster. „Es ist einfach, sich über eine individuelle Zukunft Gedanken zu machen, am allerleichtesten, sich über die eigene Zukunft Gedanken zu machen. Aber es ist verdammt schwer, sich über eine Abstraktion Gedanken zu machen … Eigentlich ist es ungeheuer schade. Wir haben eine halbe Million Jahre gebraucht, um ein Bewußtsein, die Sprache und abstraktes Denken zu entwickeln. Dann haben wir noch eine halbe Million Jahre gebraucht, bis wir gelernt hatten, was man damit anfangen kann. Dann bekommt die Sonne plötzlich ein Kratzen im Bauch, die Reizung wird durch hundert Millionen Meilen Weltraum geschickt und löst eine Todessehnsucht aus, der dreitausend Lebewesen zum Opfer fallen, von denen jedes potentiell größer als die Sonne ist, weil diese weder lachen noch weinen kann.“
    Greville, der in den Anblick von Liz versunken war, die wiederum in ihr Huhn versunken war, hatte nur mit halbem Ohr zugehört.
    „Es gibt immer noch ein paar Menschen, die lachen und weinen können“, sagte er.
    Francis seufzte. „Ja, aber kann sich von ihnen irgend jemand Gedanken machen? Kann sich von ihnen wirklich irgend jemand Gedanken machen? Wollen sie sich überhaupt Gedanken machen? Ich bin nur ein müder, alter Mann, der von der Paranoia ausgelaugt ist, und ich hätte gern das Gefühl, daß sich jemand Gedanken macht.“
    „Warum?“ fragte Greville.
    „Damit ein Affe mit einer Seele, der den Mond angeschnattert hat und mit einem Werkzeug in der Hand gestorben ist, nicht umsonst gestorben ist. Ich weiß, ich bin ein Romantiker, aber das ist wirklich eine erbärmliche Art für die Menschheit, zugrunde zu gehen. Da wäre es besser gewesen, wenn die Sonne eine Nova geworden wäre, besser, wenn alle Menschen an einer schleichenden und unheilbaren Krankheit gestorben wären. Es wäre sogar noch besser gewesen, wenn wir uns alle in die Luft gejagt hätten, weil wir irgendwelchen Ideen nachjagten … Aber nicht so. Es ist so sinnlos, so unsauber.“
    „Ja“, sagte Greville bitter. „Wir hatten eine große Kultur. Wir hatten Atomwaffen, bakteriologische Kriegsführung und Gehirnwäsche. Ein Drittel von uns bekamen Herzfehler wegen Überfettung, und zwei Drittel bekamen andere Krankheiten wegen Unterernährung. Eine ganz tolle Kultur! Wir hatten den heißen Draht von Washington und London nach Moskau und Peking. Aber von den Slums in Bombay zu denen in New York hat es keinen gegeben. Die Nase konnte man sich richten oder das Doppelkinn entfernen lassen, und das für nur fünfhundert Pfund in einer Klinik in London, aber in Zentralafrika haben wir sie an Beri-Beri, Malaria, Aussatz oder einfach an Hunger sterben lassen, und zwar ganz umsonst.“
    Francis lächelte. „Mein lieber Freund, für einen Transie hörst du dich langsam abnorm normal an … Sicher hat es Ungerechtigkeiten gegeben. Sicher gab es auch Tyrannei und Angst und eine namenlose Verschwendung. Und wie hätte deiner Meinung nach die Antwort aussehen sollen? Kommunismus, Utopismus, Humanismus oder sonst irgendein Ismus? Also, laß dir sagen, daß Ismen noch nie irgend etwas für irgend jemanden erreicht haben. In dem Augenblick, in dem der Ismus da ist, friert die Idee ein. Orthodoxie entwickelt sich zu Tyrannei, und dann ist man wieder – wie heißt das doch gleich? – zurück am Ausgangspunkt. Nein, Greville, mein Freund; das einzige, was die Menschheit gebraucht hat, war Zeit, einfach Zeit.
    Noch zehntausend Jahre. Wenn man das kosmisch betrachtet, ist das wirklich nicht viel verlangt. Aber die Sonne hat Verdauungsbeschwerden bekommen, und jetzt sitzen wir hier. Vielleicht ist das ja irgendwie lustig, aber mein Sinn für Humor ist nicht mehr so, wie er früher mal war.“
    Greville machte die Diskussion Spaß. Er wußte, daß sie zu nichts führte, weil es keine Ziele mehr gab. Trotzdem hatte er Spaß daran. Fast zwanzig Jahre lang hatte er keine Anstrengungen unternommen, die Probleme der Welt zu lösen, und jetzt, da es für eine Lösung zu spät war, hatte er das Gefühl, daß ihm eine fast olympische Neutralität gelingen könnte. Es

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