Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
Vom Netzwerk:
Augen, und seine Haut fühlte sich an, als ob sie vor Aufregung glühte. Endlich fühlte er die glatten Rundungen des Feuerzeugs in der Hand.
    »Was zum Teufel …?« Der Wächter ließ die Decke fallen und sah sich um. »Wo steckst du?«, rief er, und es klang beinahe belustigt, als wolle er Tom verhöhnen. »Wo hast du dich verkrochen, du kleine Made?« Der Jagdinstinkt des Mannes war geweckt. Seine Augen tasteten jeden Winkel des Raumes ab, bis sie an der geöffneten Tür hängenblieben. »Es hat keinen Sinn, sich vor mir zu verstecken, das weißt du doch. Also zeig dich endlich, damit wir es zu Ende bringen können.«
    Toms Blick huschte zwischen dem Wächter und dem Feuerzeug in seiner Hand hin und her. Hilflos sah er zu, wie der Verrückte langsam auf die Tür zukam. Nur noch Sekunden, dann würde er sich auf ihn stürzen. Der Wächter würde ihm jeden einzelnen Knochen brechen, denn er hatte gegen seine Regeln verstoßen, und das war unverzeihlich.
    Trotz seiner Angst konzentrierte er sich auf das Feuerzeug. Nur mühsam gelang es seinen steifen Fingern, das Zündrädchen zu bedienen. Doch es zündete nicht.
    Ein weiterer Versuch.
    Wieder nichts.
    Mit zittrigen Fingern schob Tom den Riegel für die Gaszufuhr auf maximal. Dann umklammerte er das Feuerzeug mit beiden Händen wie im Gebet.
    Lieber Gott, bitte!
    Ein Ratschen.
    Ein Funken …
    Dieses Mal stieg eine Flamme aus der winzigen Düse auf wie das brennende Schwert der Vergeltung. Tom schrie vor Erleichterung auf. Trotz seiner Schmerzen war er blitzschnell auf den Beinen und trat gegen die Tür, die daraufhin krachend ins Schloss fiel und die Sicht auf ihn freigab.
    »Hier bin ich!«, rief er und versuchte, so deutlich wie möglich zu sprechen. Trotzdem klang er beinahe genauso verrückt wie sein Peiniger. »Siehst du das?« Triumphierend hielt er das Fotoalbum in die Höhe.
    Die verblüfften Augen des Wächters glitten von dem Album zu der Flamme und weiteten sich, als er begriff. »Wo hast du …?« Sein Kopf zuckte hastig zur offenen Schublade der Werkbank herum, dann starrte er wieder Tom an. »Nein!«
    »Oh doch«, gab Tom zurück. Das Lachen tat weh, trotzdem ließ er es sich nicht nehmen, seine Schadenfreude zu zeigen. Eine Spur von Wahnsinn flackerte jetzt auch in seinem Gesicht. »Schau genau hin, jetzt bin ich derjenige, der dein Leben in der Hand hat!« Das Lachen verstummte. »Was ist es dir wert, Arschloch?«
    »Nicht! Bitte … nicht das Buch … nicht den Jungen!« Die unnachgiebige Miene des Wächters hatte sich in eine groteske Maske der Verzweiflung verwandelt. Wie ein kleines Kind stand er da und bettelte, versuchte verzweifelt, den drohenden Verlust abzuwenden. »Ich bitte dich, nimm ihn mir nicht weg!«
    »Tja«, erwiderte Tom unbeirrt, »daran bist du ja wohl selbst schuld, nicht wahr? Wenn du mich nicht hier unten eingesperrt und gefoltert hättest, wäre das hier jetzt nicht nötig.«
    Die Flamme des Feuerzeugs begann zu flackern, wurde kleiner.
    »Du willst mit mir spielen?« Tom ließ seinen ganzen Hass aus seinen Augen sprechen. »Also schön, spielen wir!«
    Er hielt die Flamme an das Album. Wie trockene Schwämme sogen die mit dem Verdünner getränkten Blätter das Feuer auf. Dann trat er mit hoch erhobenem Arm einen Schritt zurück und warf das brennende Buch in die offene Kühltruhe.
    Augenblicklich schossen bläuliche Flammen daraus hervor, als hätte sich darunter das Tor zur Hölle aufgetan. Rasch breitete sich eine Hitzewelle aus, und Tom hob schützend die Arme. Ein widerliches Zischen ertönte, als die Restfeuchtigkeit des entstellten Leichnams verdampfte.
    » NEEIIIN !«
    Der Wächter stürzte auf die Truhe zu. Tom griff nach hinten und zog das Messer aus dem Hosenbund. Er hatte vor, es dem Kerl in den Rücken zu stoßen, während der versuchte, die sterblichen Überreste seines Sohnes zu retten. Doch in einem Moment der Unachtsamkeit sah er die fleischige Hand des Wächters nicht kommen, die ihn blitzschnell packte und zur Seite stieß. Tom strauchelte und prallte rücklings gegen die Wand, dass es ihm die Luft aus der Lunge presste. Benommen vor Schmerz ließ er das Messer fallen. Es rutschte über den Boden und blieb etwa in der Mitte des Kellers liegen.
    »Mein Junge!«, schrie der Wächter, während er verzweifelt versuchte, durch die Flammen hindurch nach dem Deckel der Truhe zu greifen. »Mein lieber Junge!«
    Grelle Punkte tanzten vor Toms Augen, hüpften um das Messer am Boden herum wie kleine Trolle, die

Weitere Kostenlose Bücher