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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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sich über seine Dummheit lustig machten.
    Verdammt, du hast es verbockt! Du blöder Idiot hast es vermasselt!
    Den Trumpf der Überraschung hatte er verspielt. Aber eine Chance blieb ihm noch.
    Er stemmte sich von der Wand weg und hastete zur Tür, so schnell es sein Bein erlaubte. Wenn es ihm gelang, den Kerl hier unten einzuschließen, ihn zu einem Gefangenen in seinem eigenen Kerker zu machen, dann hatte er gewonnen.
    Dem Wächter war es mittlerweile gelungen, den Deckel zu schließen und so das Feuer zu ersticken. Dichte Rauchschwaden hüllten ihn ein, hingen wie schwere Vorhänge in der Luft, die sich langsam hoben und die Bühne für den letzten Akt freigaben.
    Tom hatte die Tür erreicht. Ein Anflug von Erleichterung ließ ein angedeutetes Lächeln auf seinen Lippen erscheinen, als seine Finger den Griff zu fassen bekamen und sie mit einem Knarren aufschwang. Doch im selben Moment stürmte der Wächter wie ein Raubtier aus dem Nebel hervor. Sein speckiges Gesicht war jetzt eine verzerrte Fratze des Zorns, eines Zorns, der ihm eine schier übermenschliche Kraft verlieh.
    »Hiergeblieben, du Ratte«, zischte er boshaft. »Wir sind noch nicht fertig!«
    Er packte Tom mit beiden Händen im Nacken und schleuderte ihn entschlossen in den Keller zurück. Der Schwung riss Tom von den Beinen. Er schlug hart gegen den Trophäenschrank, der daraufhin heftig ins Wanken geriet. Die Türen sprangen auf, und einige der Bälle rollten von den oberen Regalen herunter, hüpften wie ein graziles Ballett durch den Raum, bis sie vor der Werkbank liegen blieben. Das große Einmachglas folgte ihnen. Mit einem hohlen Poff zerplatzte es auf dem steinernen Grund und gab mit einem widerlich klatschenden Geräusch seinen grausigen Inhalt frei. Eine Welle aus Scherben und Flüssigkeit verteilte sich über den Boden und umspülte die graue Decke, bis sie zwischen ihren groben Fasern versiegte.
    Voller Entsetzen starrte Tom in das tote Antlitz von Susanna Schubert, deren leere Augen ihn betrachteten, als wollten sie ihm mitteilen, dass er versagt hatte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Wächter einen länglichen Gegenstand aus einer Halterung an der Wand nahm. Dann drehte er sich zu ihm um.
    »Wie es aussieht, hat das Blatt sich wieder zu meinen Gunsten gewendet.« Die Stimme des Mannes klang ruhig und gefasst. Doch es schwang ein harter, unberechenbarer Unterton darin mit. Hinter seinen Augen öffnete sich eine dunkle Leere wie ein bodenloser Abgrund. Eine verlassene Schaltzentrale, aus der aller Verstand geflohen war und in der das Feuer des Irrsinns loderte. Seine rußigen Finger umklammerten eine schwarze Brechstange, die er drohend in den Händen wog.
    Verzweifelt suchte Tom den Boden nach dem Messer ab, doch er konnte es nicht entdecken. Die Flüssigkeit aus dem Glas musste es weggespült haben. Schließlich sah er es neben der grauen Decke, die nur noch ein nasser, stinkender Lumpen war. Unzählige Splitter bedeckten den Boden davor, machten ihn zu einem gläsernen Minenfeld. Tom sah auf seine nackten Füße.
    »Was ist, kleiner Tom, spielen wir weiter?« Klatschend ließ der Wächter die Brechstange in seine Handfläche fallen, während er seinen Gefangenen gedankenverloren betrachtete. Eine leere Hülle, fernab von jeglichem Menschsein.
    Dann ertönte die Türklingel.
    Toms Herzschlag legte eine Pause ein, um dann in doppeltes Tempo überzugehen, als er eine gedämpfte Stimme hörte.
    »Polizei! Machen Sie die Tür auf, Herr Homberg!«
    Wie elektrisiert von dem Gedanken an Rettung schrie Tom augenblicklich gellend: »Hilfe!« Seine Stimme klang genauso spröde wie die Klingel, erreichte aber aufgrund seines zertrümmerten Kieferknochens nicht deren Lautstärke. Er konnte den Mund nicht weit genug öffnen, was ihn nicht davon abhielt, es weiter zu versuchen. »Ich bin hier unten! Schnell!«
    Die Teilnahmslosigkeit, mit der der Wächter dies alles beobachtete, war gespenstisch. Mit wachsender Panik sah Tom zu, wie er langsam die Brechstange über seinen Kopf hob.
    Wieder die Tür. Diesmal ein lautes Hämmern. »Seien Sie doch vernünftig, Herr Homberg, sonst sind wir gezwungen, die Tür aufzubrechen!«
    Aufbrechen oder nicht, macht schon, oder ich bin tot!
    Hektisch musterte Tom den Boden. Die größeren Scherben konnte er umgehen, aber den Rest … Er würde es nicht einmal in die Nähe des Messers schaffen. Unmöglich.
    Noch immer starrten ihn Susannas tote Augen an, und unwillkürlich kam ihm ein Gedanke. Doch der war so

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