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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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Schläfen. Er hatte auf einmal rasende Kopfschmerzen. Was nicht weiter verwunderlich war, angeblich tobte ja ein Sturm in seinem Schädel.
    »Wie lange genau?«, fragte er.
    Fanta sah ihm in die Augen. »Fast vier Jahre!«
    Tom rechnete kurz nach. »Sechsundvierzig«, murmelte er gedankenverloren.
    »Ja, Tom, sechsundvierzig. Diese Zahl markiert nicht irgendeinen Punkt, und sie steht auch nicht für absurde fernöstliche Mythologien. Sie ist schlichtweg eine Zeitangabe. Denn du befindest dich jetzt auf den Tag genau seit sechsundvierzig Monaten im Koma. Und heute ist die Zeit deines Erwachens gekommen.«
    Tom starrte regungslos auf den Boden vor seinen Füßen. Nichts ergab mehr einen Sinn und doch alles. Er war hin- und hergerissen, schwankte zwischen strikter Ablehnung und zaghafter Akzeptanz. Schließlich kam es nicht alle Tage vor, dass sich das Leben, das man zu leben geglaubt hatte, als Illusion erwies, als Fantasiegebilde, das man sich zusammengeschustert hatte, während man vier Jahre lang in einer Art Todesschlaf gelegen hatte. Solche Erkenntnisse benötigten in der Regel Zeit und eine ganze Armee von Psychiatern, um sie zu begreifen. Doch er saß mitten in einem Orkan, der in seinem Verstand tobte und die restlichen Trümmer von dem wegfegte, was ihn blockierte und ihn am Leben hinderte.
    »Wow!« war das Erste, was er zustande brachte. »Was du da behauptest, ist ziemlich schwer zu schlucken.«
    »Es ist die Wahrheit, Tom. Das alles hier spielt sich ganz allein in deinem Unterbewusstsein ab.«
    »Dann … dann bin ich also erst siebzehn?«, fragte Tom überrascht. »Aber … wie ist das möglich?«
    »Das war nötig«, erklärte Fanta. »Ein siebzehnjähriger Bestsellerautor mit Familie wäre nicht sehr glaubwürdig gewesen.«
    »Ja«, gab Tom nach einer Weile zu. »Ebenso wenig wie das hier.« Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber ich kann das einfach nicht glauben.«
    »Kannst du nicht, oder willst du nicht?«
    Tom sah ihn an. »Wie meinst du das?«
    »Na ja, anscheinend gefällt es dir ja, in dieser Illusion zu leben. Es ist bestimmt besser, ein reicher und bekannter Schriftsteller zu sein, als ein Siebzehnjähriger, der vier Jahre seines Lebens verschlafen hat.«
    »Nun, wie du siehst, bin ich im Moment ausgesprochen wach. Ich hole mir jetzt meine Familie und verschwinde von hier. Und du wirst mich verdammt noch mal nicht daran hindern.«
    »Wenn du jetzt gehst, werden diese Mauern nicht einstürzen, und du wirst nie wieder aus diesem Schlaf aufwachen.«
    »Na und? Wie du schon bemerkt hast, geht es mir hier ja gar nicht so schlecht.«
    Kaum hatte er sich von Fanta abgewandt, ertönte ein ratschendes Geräusch wie von zerreißendem Papier. Er drehte sich wieder um und sah ein rechteckiges, zigarettenschachtelgroßes Plastiketui, das über den Boden schlitterte und schließlich vor seinen Füßen liegen blieb.
    »Wann hast du das letzte Mal bewusst in einen Spiegel geschaut?«, fragte Fanta.
    Überrascht sah Tom von dem Gegenstand auf. »Was soll denn das jetzt? Ist das wieder einer von deinen Tricks?«
    Fanta lächelte. »Hast du dich eigentlich nie darüber gewundert, dass es in deinem Haus keinen einzigen Spiegel gibt? Nicht einmal im Badezimmer. Sogar das Glas in deinem Wintergarten ist entspiegelt. Was glaubst du wohl, woran das liegen könnte?«
    Toms Stirn legte sich in Falten. »Was redest du denn da? Natürlich haben wir im Bad einen …« Er dachte nach, konzentrierte sich. Doch sosehr er sich auch anstrengte, er konnte es nicht vor sich sehen. Sein Spiegelbild war nur ein leerer Fleck über dem Waschbecken. »Aber das ist doch … Ich bin mir sicher …«, stotterte er.
    »So sicher, wie du mir sagen kannst, an welchem Tag du geheiratet hast oder in welchem Krankenhaus dein Sohn zur Welt gekommen ist?«
    Toms Gedanken rasten wild umher, fanden jedoch keinen Halt. »Das … das gibt’s doch nicht.« Hilflos starrte er Fanta an. »Was … was hast du mit mir gemacht?«
    »Gar nichts, Tom. Da diese Ereignisse niemals stattgefunden haben, hast du sie auch nie hinterfragt. Du hast sie als selbstverständlich betrachtet, denn du hattest eine Frau und einen Sohn. Das hat die Illusion in deinen Augen perfekt gemacht.«
    »Du lügst!«, schrie Tom gellend. »Meine Familie ist keine Illusion!« Er war nun außer sich, bekam kaum noch Luft. »Du hast mir irgendeine Droge verpasst, genau wie den anderen. Wahrscheinlich ist das auch der Grund für meine Gedächtnislücken.«
    Fanta sah

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