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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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verlegen zu Boden. »Ach ja, das mit deinen Blackouts ist tatsächlich auf meinem Mist gewachsen«, gab er zu. »Ich konnte ja nicht ahnen, dass du da gleich eine Geisteskrankheit reininterpretierst.« Er zuckte die Achseln. »Tut mir echt leid, Mann, aber ich war wohl eine Zeit lang ein bisschen überfordert. Später habe ich mir das dann absichtlich zunutze gemacht, um dir immer dann eine Gedächtnislücke zu verpassen, wenn aufgrund deines Handelns Sachen passiert sind, die ich nicht realistisch hätte darstellen können, wie Autofahren zum Beispiel.« Missmutig erwiderte er Toms vorwurfsvollen Blick. »Sieh mich nicht so an«, knurrte er gereizt. »Es ist verdammt noch mal nicht einfach, diese Fantasie hier andauernd glaubhaft am Laufen zu halten und dir ganz nebenbei auch noch den Arsch zu retten. Das Ganze war wesentlich leichter, als du mit selbigem noch den lieben langen Tag in deiner blöden Hütte gehockt hast. Aber um dich da rauszukriegen, musste ich ja auch noch diese ganze Geschichte inszenieren, von wegen Mord, Verschwörung und Trallala. Da kann einem ja wohl mal das ein oder andere vom Tisch fallen, oder?« Er schnaufte aufgebracht und verschränkte die Arme vor der Brust. »Gott, diese Scheißperfektionisten!«
    Nach einem Augenblick des Schweigens sah Tom ihn fragend an. »Nachdem ich das alles nun weiß, wieso wache ich dann nicht auf?«
    Fanta seufzte. »Weil noch etwas Entscheidendes fehlt, um die Mauern einstürzen zu lassen und die Blockaden endgültig zu durchbrechen.«
    »Und was soll das sein?«
    »Nun, es gibt in diesem Gebäude einen Raum, der noch unversehrt ist.«
    Die Falten auf Toms Stirn glätteten sich. »Du meinst, es existiert noch eine Erinnerung?« Sein Blick glitt durch den Keller. »Hier?«
    Fanta nickte.
    »Aber das kann nicht sein, ich habe mich doch schon an alles erinnert. Der Rest ist Dunkelheit.«
    »Du irrst dich«, meinte Fanta. »Dein Unterbewusstsein ist durchaus in der Lage, allein zu handeln. Sonst würden wir uns jetzt kaum unterhalten. Du hast nur nach außen hin keine Möglichkeit, darauf zu reagieren.«
    »Und wie komme ich an diese Erinnerung heran?«
    »Durch Glauben, mein Freund. Der versetzt bekanntlich Berge. Reines Wissen allein nützt dir nichts, du musst letztendlich überzeugt sein. Wenn du das hier aber alles für Blödsinn hältst, dürfte sich kaum etwas an deiner Einstellung ändern.«
    Tom blickte verzweifelt zu seiner Familie hinüber. »Ich weiß nicht mehr, was ich noch glauben soll.«
    »Wenn du eine Entscheidungshilfe brauchst …« Fanta deutete auf das schwarze Etui zu Toms Füßen.
    Zögernd ging Tom in die Knie und hob es auf.
    »Mach es auf, und sieh der Wahrheit ins Gesicht.«
    Unsicher betrachtete er das Mäppchen in seiner Hand. Was soll schon passieren?, dachte er. Doch seine Hand zitterte, als er die kleine Verriegelung löste.
    Als er es aufklappte und sich in dem kleinen Taschenspiegel darin betrachtete, traute er seinen Augen nicht. Sein Gesicht war jung, aber fahl und eingefallen. Seine Augen waren offen, aber ihr Blick war so leer wie ein Tunnel ohne Ausgang. Seine Züge waren in einer Mischung aus Erstaunen und Desinteresse erstarrt. Die Haut um die Mundwinkel herum war schlaff, die Haare gleichmäßig kurz geschnitten. Er war das Bild eines jungen Mannes, der nur noch eine leblose Hülle war.
    Erschrocken ließ er den Spiegel fallen. Mit leisem Klirren zersprang er auf dem Boden. »Nein!«, schrie er die Scherben an. »Das kann nicht sein!«
    »Manchmal ist die Wahrheit schwer zu ertragen«, meinte Fanta.
    Erneut schaute Tom zu Karin und Mark hinüber. Sie schienen in immer weitere Ferne zu rücken, wurden unerreichbar. Er stöhnte auf und rieb sich die pochenden Schläfen. Sein Kopf dröhnte.
    »Du hörst die Stimmen wieder, nicht wahr?« Fanta deutete mit zwei Fingern auf seine Stirn. »Und sie werden lauter.«
    Aus Toms Augen starrte nackter Schmerz. »Wo… woher weißt du das?«
    »Ich bin ein Teil von dir, schon vergessen?«
    »Und … und diese Stimmen sind real?«
    »Ja, Tom. Sie kommen von draußen, dringen immer weiter zu dir durch. Es sind die Stimmen der Menschen, die sich um dich kümmern. Pfleger, Schwestern, Ärzte. Aber auch die von deinen Angehörigen.«
    Angehörige, dachte Tom, und sein Puls ging schneller, während die Stimmen wie entfernte Echos durch seinen Kopf hallten. Und plötzlich wurde sein Herz schwerer, als würde es sich verdichten, an Masse gewinnen. »Dann …«, begann er zaghaft, »dann

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