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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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beweisen, wenn ich eingesperrt bin.«
    »Und ich kann nicht einfach über das hier hinwegsehen, Tom. Diesmal nicht.«
    Er trat noch einen Schritt auf sie zu.
    Die Hand, die das Pfefferspray hielt, begann zu zittern. »Zwingen Sie mich nicht dazu«, warnte sie, während sie weiter zurückwich. Jetzt war sie an der geöffneten Tür angekommen, war etwa fünf Schritte von ihm entfernt, und ihre freie Hand legte sich um den Türgriff, entschlossen, ihn hier unten einzusperren.
    »Bitte«, flehte er und sah sie eindringlich an. »Ich bin kein schlechter Mensch, das wissen Sie doch.«
    »Herrgott noch mal, Tom«, fauchte sie aufgebracht. »In Ihrer Kühltruhe liegt die Leiche eines kleinen Mädchens!«
    »Und darüber bin ich genauso schockiert wie Sie!« Er machte einen weiteren Schritt, sorgsam darauf bedacht, nicht über die Wäschestücke zu stolpern, die wahllos am Boden verteilt lagen. »Und jetzt fordere ich ein bisschen von dem, was Sie von mir verlangt haben, nämlich Vertrauen. Ich bin seit Jahren bei Ihnen in Behandlung. Gut, vielleicht war ich nicht immer offen zu Ihnen, aber ich habe Sie nie belogen. Und wenn Ihr Urteilsvermögen nicht gänzlich versagt hat, dann müssen Sie mir glauben!«
    Wieder dieses Flattern in ihren Augen. Die Hand, in der sie das Spray hielt, senkte sich etwas. »Tom, wenn Sie sich freiwillig stellen, kann ich ein gutes Wort für Sie einlegen. Ich werde bei jeder Vernehmung dabei sein und Sie unterstützen, so gut ich kann. Aber wenn Sie mich zwingen, diese Tür zuzuschlagen, dann machen Sie das Ganze nur unnötig kompliziert.«
    »Ich werde mich nicht für etwas rechtfertigen, das ich nicht getan habe.«
    »Die Polizei wird den Fall untersuchen. Wenn Sie wirklich unschuldig sind, haben Sie bestimmt auch nichts zu befürchten.«
    »Tut mir leid, aber dieses Risiko kann ich nicht eingehen.«
    Ihre Finger legten sich fester um den Türgriff, während sie weiter zurückwich. »Seien Sie vernünftig, Tom. Allein kommen Sie ohnehin nicht weit.«
    »Wer weiß«, entgegnete er. »Sie sagen doch immer, ich soll mich meinen Ängsten stellen. Jetzt wäre doch eine gute Gelegenheit dazu, finden Sie nicht?«
    Beklommen sah Tom, wie Dr. Westphal langsam durch die Tür zurückwich. Wenn es ihr gelang, sie zu verriegeln, war alles verloren. Er wäre hier gefangen, bis sie kämen, um ihn zu holen. Sie würden ihn in eine Zelle zu sperren, so wie der Wächter es getan hatte. Die Guten würden zu den Bösen werden, und sein Alptraum würde ewig andauern.
    »Nein!«
    Von Panik erfasst, stürzte er vor. Im selben Moment fiel die Tür ins Schloss. Das hastige Klappern eines Schlüssels war zu hören, der sich im Schloss drehte. Tom drückte auf die Klinke und zog daran. Erleichtert stellte er fest, dass der Riegel noch nicht gegriffen hatte und die Tür nachgab. Zunächst nur ein wenig. Er konnte spüren, wie auf der Gegenseite daran gezerrt wurde, was seine Entschlossenheit noch steigerte. Er stemmte den Fuß gegen die Wand und warf sich mit der ganzen Kraft seines Körpers rückwärts. Ein gedämpfter Schlag ertönte. Dann war der Widerstand verschwunden, und die Tür schwang auf.
    Von seinem eigenen Schwung mitgerissen, stürzte Tom rücklings zu Boden und warf noch mehr Wäschekörbe um, die Hemden und Shorts über ihn verteilten. Er schleuderte sie beiseite, stemmte sich sofort wieder auf die Füße und schaute in den offenen Durchgang, fest entschlossen, sich seinen Weg freizukämpfen. Doch voller Bestürzung sah er, dass der Kampf bereits gewonnen war.
    Dr. Westphal lag reglos auf der Türschwelle. Aus einer Platzwunde an ihrer Stirn floss Blut über ihr Gesicht und ihre Haare. Mit wenigen Schritten war Tom bei ihr. Erst jetzt sah er den blutigen Fleck, etwa auf halber Höhe des Türrahmens. Sie war mit voller Wucht dagegengeschleudert worden, als Tom die Tür aufgerissen hatte.
    Behutsam fasste er sie unter den Schultern und zog sie in den Wäscheraum. Ihr Handy und ihr Schlüsselbund rutschten aus ihrem Blazer und fielen zu Boden. In der Hand hielt sie noch immer das Pfefferspray. Tom verband ihre Kopfwunde notdürftig mit einem der T-Shirts, die auf dem Boden lagen. Als er sie dann betrachtete, verletzt und hilflos, überrollte ihn eine Woge der Schuldgefühle.
    »Es tut mir leid«, beteuerte er, obwohl er wusste, dass sie ihn nicht hören konnte. »Aber ich habe keine andere Wahl.«
    Angespannt atmete er tief durch. Es war höchste Zeit, zu verschwinden. Auf dem Weg nach draußen fiel sein Blick

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